Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Rote Kreuze
Autor: Sasha Filipenko
Übersetzerin aus dem Russischen: Ruth Altenhofer
Erscheinungsdatum: 26.02.2020
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN: 9783257071245
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Der Roman „Rote Kreuze“ von Sasha Filipenko spielt am Ende
des Jahres 2000. Alexander ist einer der
beiden Protagonisten, 30 Jahre alt und hat eine wenige Monate alte Tochter. Er ist
von Beruf Fußballschiedsrichter und hat gerade eine Wohnung in Minsk neu
angemietet. Auf seiner Wohnungstür ist ein gut sichtbares rotes Kreuz aufgemalt.
Beim Versuch, die beiden Striche zu entfernen, begegnet er seiner Nachbarin
Tatjana, die sich dazu bekennt, das Kreuz angebracht zu haben, damit es sie
nach Hause führt. Sie ist die zweite Hauptfigur des Romans, schon 90 Jahre alt
und an Alzheimer erkrankt.
Tatjana besteht darauf, dem jungen Nachbarn ihre Wohnung zu
zeigen, von der Alexander überrascht ist und deren Ausstattung Fragen aufwirft.
Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen damit, über ihr Leben zu erzählen, wobei
Alexander dabei zunächst zögerlich ist. Tatjana schildert ihr bewegtes Leben
und ihren persönlichen Kampf für ihre kleine Familie in den Jahren der Stalin-Ära
und den Jahren nach dem Tod des Diktators. Auch Alexander hat in den letzten
Wochen und Monaten für seine kleine Familie gekämpft. Obwohl sich die
Geschichten grundlegend unterscheiden, haben beide auch einiges gemeinsam.
Rote Kreuze ziehen sich durch den gesamten Roman, nicht nur
in Form des Symbols zur Erinnerung an Alexanders Haustür. Der Titel bezieht
sich ebenso auf das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, das im und nach
dem Zweiten Weltkrieg Informationen über Verletzte und Kriegsgefangene
gesammelt und zur Verfügung gestellt hat. Die Korrespondenz mit dem Komitee
spielt eine wichtige Rolle im Buch, Sasha Filipenko hat den Wortlaut von
Originaldokumenten in seinen Roman eingebunden, mit ihnen stützt er seine
Forderung, die Erinnerung an die Gräuel des vorigen Jahrhunderts in den
sozialistischen Sowjetrepubliken aufrecht zu erhalten.
Außerdem erinnern die Kreuze in ihrer übertragenen Form an
das Leid, dass beide Protagonisten in ihrem Leben erfahren haben und nun mit
sich tragen. In ihren Schicksalen trifft der Respekt gegenüber einer einzelnen
Person des modernen Weißrusslands auf die Grausamkeiten des Sowjetregimes in
der Mitte des letzten Jahrhunderts, die ein Leben auf gänzlich andere Art gemessen,
beurteilt und bewertet hat.
Beiden Protagonisten gemeinsam ist auch, dass sie schwierige
Entscheidungen zu treffen hatten. Tatjana hat entsprechend der gegebenen Lage
im Geheimen entschieden, weil sie niemandem vertrauen konnte. Alexander, der
einen Sinn für Gerechtigkeit hat, die auch in seinem Beruf zum Tragen kommt,
hatte zwar die Möglichkeit Informationen und Rat öffentlich einzuholen, doch
sein Beschluss wird nicht von jedem gutgeheißen, sondern findet auch kritische
Stimmen.
„Rote Kreuze“ ist ein Roman gegen das Vergessen, nicht nur
aufgrund der Alzheimererkrankung der Protagonistin Tatjana, sondern es ist
ebenfalls ein Aufschrei gegen das kollektive gesellschaftliche Vergessen an die
gefühllos veranlassten Repressionen in den sowjetischen Republiken vor einigen
Jahrzehnten. Sasha Filipenko schreibt bedrückend und berührend, seine
Geschichte bleibt in Erinnerung. Gerne empfehle ich das Buch weiter.