Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Dankbarkeiten (Original: Les gratitudes)
Autorin: Delphine de Vigan
Übersetzerin: Doris Heinemann
Erscheinungsdatum: 10.03.2019
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783832181123
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Die inzwischen über 80 Jahre alte Michèle Seld, kurz Mischka
gerufen ist die Protagonistin im Roman „Dankbarkeiten“ der Französin Delphine
de Vigan. Mischka, die viele Jahre als Korrektorin von Texten gearbeitet hat,
leidet zunehmend unter einer Aphasie. Bald schon kann sie nicht mehr allein in
ihrer Wohnung bleiben. Zwar hat sie selbst keine Kinder, aber sie hat sich
häufig um die Nachbarstocher Marie gekümmert, die ihr nun beim Umzug ins
Seniorenheim zur Seite steht.
Zu den wenigen regelmäßigen Besuchern im Heim gehört der
Logopäde Jérome, der ebenso wie Marie die Geschichte aus seiner Sicht erzählt.
Daneben gibt es weitere Abschnitte, die einige Träume Mischkas mit Situationen
wiedergeben, in denen ihre Ängste deutlich werden.
Delphine de Vigan verdeutlicht, dass es für Mischka, die ein
selbständiges Leben geführt hat, nicht leicht ist, sich den Regeln des Heims
unterzuordnen und sich in die Gemeinschaft einzufügen. Von den Angestellten,
die ihren Dienst nach Plan vollziehen, fühlt sie sich in ihrer Privatsphäre
gestört. Das Telefonieren fällt ihr durch ihre Krankheit immer schwerer, nicht
nur dadurch werden ihre Kontaktmöglichkeiten immer weniger. Leere breitet sich
aus. Delphine de Vigan hat mit ihrem Schreibstil eine Möglichkeit gefunden mir
als Leserin Mischkas Verlust der Hoffnung auf eine Besserung ihres Zustands und
ihre steigende Resignation zu vermitteln, denn manche Sätze bleiben spürbar
unvollendet im Raum stehen. Ein Dank in dieser Hinsicht gilt auch der sehr
guten Übersetzung von Doris Heinemann, die die Nachvollziehbarkeit des
Schwindens der Wörter ermöglicht hat.
Mischkas Gedanken kehren immer wieder in ihre Kindheit
zurück, vor allem zu einer schwierigen Zeit im Krieg. Die Erlebnisse haben sich
tief in ihr eingegraben und sie geprägt, damit hat sie noch nicht
abgeschlossen, denn es gibt Menschen, denen sie gerne für ihre damalige Hilfe
Danken möchte. Ihre Unruhe darüber, diesen Wunsch nicht mehr umsetzen zu
können, ist spürbar. Sie ist aber nicht die einzige Figur im Roman, die dankbar
ist für das Gute, dass sie im Leben erfahren hat.
Die Autorin weist auf all die Kleinigkeiten im Alltag hin,
für die man Danke sagt, ohne lange nachzudenken, einfach aus Routine. Ihr Roman
„Dankbarkeiten“ ist eine Aufforderung dazu, darüber nachzudenken, welche Gefälligkeiten
demgegenüber einfach hingenommen werden und die doch eigentlich mehr
Aufmerksamkeit von uns verlangen und ein wenig mehr Anerkennung, die man auch
äußern sollte. Gerne empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter.