Rezension von Ingrid Eßer
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Titel: Die rechtschaffenen Mörder
Autor: Ingo Schulze
Erscheinungsdatum: 04.03.2020
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Leseexemplar
ISBN der Originalausgabe: 9783103900019
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Schon ein Blick auf den Umschlag des Romans „Die
rechtschaffenen Mörder“ von Ingo Schulze ließ mich wissen, dass er über Bücher,
viele Bücher handelt. Vor allem dreht sich die Geschichte aber um den Besitzer
dieser Bücher, den Dresdner Antiquar Norbert Paulini. Im ersten Satz des Romans
liest sich denn „…lebte einst“, was sich für mich ein wenig märchenhaft
anhörte, sich schließlich jedoch in das Gesamtbild des Buchs einfügte, denn der
Roman besteht aus drei Teilen. Im ersten wird das Leben des Buchhändlers durch
einen zunächst unbekannten Ich-Erzähler geschildert.
Erst im zweiten Teil
lernte ich den fiktiven Schriftsteller Schultze kennen, der die Geschichte über
Paulini zu Papier gebracht hat. Nicht nur sein Name ist dem des Autors ähnlich,
es finden sich auch weitere Parallelen zu dessen Leben. Ich erfuhr, welche
Gründe ihn bewegt haben, über den Antiquar zu schreiben. Er verarbeitet dabei
seine persönlichen Begegnungen, die Fakten aus Gesprächen mit Bekannten und
Freunden Paulinis, bindet Gerüchte ein und ergänzt alles durch seine Fantasie.
Im letzten Teil des Romans kommt schließlich die Lektorin von Schultze zu Wort,
die mir nochmal einen neuen Blickwinkel auf Paulini, Schultze und deren
gemeinsame Freundin Lisa sowie das unvollendete Manuskript gab.
Norbert Paulini lebt in Dresden und kommt aus einfachen
Verhältnissen. Seine Mutter besaß eine Buchhandlung, verstarb aber wenige Tage
nach seiner Geburt im Jahr 1953. Doch ihre unverkauften Bücher hortete der
Vater an jeder freien Stelle in der Etagenwohnung einer Villa im Stadtteil
Blasewitz, in der die Familie lebt. Dadurch wurde bei Paulini die Liebe zu den
Büchern geweckt und seine Berufung. Sein Leben ist eng verknüpft mit der
wechselhaften Geschichte Ostdeutschlands. Besonders einschneidend für ihn und
sein Geschäft ist die Öffnung der Grenzen und das Oderhochwasser. Er resigniert
nicht, akzeptiert die gegebenen Umstände und passt sich an. Doch im Laufe der
Jahre ändern sich in kleinen Schritten seine Einstellungen, auch weil er seinen
eigenen Erwartungen als Vater gerecht werden möchte. Und eines Tages steht er
im Blickfeld von polizeilichen Ermittlungen.
Ingo Schulzes Roman ist angefüllt mit Leidenschaft für
Bücher, nicht nur durch seinen Protagonisten, sondern auch über Buchschätze.
Hier fällt mancher große Autorenname und Titel, die auf diese Weise Paulini
nicht nur seinen Kunden, sondern auch mir als Leser empfiehlt. Paulini ist ein
geradliniger Mensch, er hat bestimmte Ansichten von seiner Zukunft, zu dem der
Wunsch gehört, vom Lesen zu leben genauso wie seine Erwartung an eine Ehefrau. An
Aussagen zur politischen Lage hat er kein Interesse, stattdessen steckt er
seine ganze Energie in die Vermittlung von Büchern an seine Kunden. Dabei
sollen es vor allem die Klassiker sein, die jeder kennen sollte. Nur
widerwillig beachtet er Neuerscheinungen.
Das Adjektiv rechtschaffen, wie es im
Titel genutzt wird, trifft auf Paulini in besonderer Weise zu. Im Zeitablauf
erfordern jedoch familiäre und gesellschaftliche Ereignisse unangenehme
Entscheidungen von ihm, die er meistert. Für mich als Leser war es
nachvollziehbar, dass er sich immer mehr als Opfer der Umstände betrachtet und
seine Gelassenheit nur noch nach außen sichtbar ist, während es in seinem
Innern brodelt, doch das ist nur Spekulation.
Die Veränderung der Erzählperspektive verdeutlicht, dass die
Erzählung über eine Person durch Dritte gespickt ist mit vielen Einflüssen und
dadurch ein reales Bild nicht möglich ist. Es kann als Außenstehender nur ein
Versuch sein, dass Verhalten eines Menschen zu erklären, durch seine Äußerungen
und seine Handlungen. Doch unsere Gesellschaft neigt zur Vorverurteilung und
Schubladendenken.
Meisterhaft zeigt Ingo Schulze in seinem Roman „Die
rechtschaffenen Mörder“ dem Leser, wie schwierig es ist, sich eine umfassende,
ehrliche und faire Meinung zu bilden. Durch unterschiedliche Erzählperspektiven
führt er dem Leser vor, wie subjektiv, manchmal borniert der Eindruck von uns
in der Öffentlichkeit entsteht. Einige Fragen bleiben offen und warten darauf,
vom Denken des Lesers gefüllt zu werden. Gerne vergebe ich hierzu eine
Leseempfehlung.