Montag, 30. März 2020

Rezension: Miracle Creek von Angie Kim


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Miracle Creek
Autorin: Angie Kim
Übersetzerin: Marieke Heimburger
Hardcover: 512 Seiten
Erschienen am 9. März 2020
Verlag: hanserblau

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In der amerikanischen Kleinstadt Miracle Creek kommt es zur Explosion eines Sauerstofftanks, wodurch ein achtjähriger Junge sowie eine fünffache Mutter sterben. Angeklagt wegen Mordes ist nun die Mutter des Jungen: Sie soll das Feuer gelegt haben, das zur Explosion geführt hat. Für die Mehrheit ist klar, dass sie schuldig ist - schließlich hat man sie in der Nähe des Tatorts mit Wein und Pralinen gefunden, bei sich Zigaretten und Streichhölzer der gleichen Marken wie die Tatwerkzeuge. Doch im Kreuzverhör wird bald klar, dass nicht alles so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei der Verhandlung anwesend sind auch die anderen Personen, die an jenem Abend vor Ort waren. Und manch einer hat der Polizei nicht alles erzählt.

Das Buch beginnt mit einer kurzen Erklärung zur sogenannten HBO-Therapie, bei der in Überdruckkammern reiner Sauerstoff verabreicht wird. Ein Risiko dabei ist die hohe Explosionsgefahr. Das erste Kapitel nimmt den Leser mit ins Jahr 2008, wo es zu solch einem Vorfall gekommen ist. Es ist aus der Sicht von Young geschildert, deren Mann Pak die Überdruckkammer betreibt und sie an jenem Abend bittet, kurz seinen Platz an der Schalttafel einzunehmen. Doch dann muss auch sie hinaus, um etwas aus dem nahegelegenen Haus zu holen. Als sie wiederkommt, brennt es bereits und sie sieht, wie ihre Tochter durch den Knall der Explosion durch die Luft fliegt.

Fast ein Jahr später beginnt der Prozess gegen Elizabeth, deren Sohn in der Überdruckkammer ums Leben kam. Sie ist an diesem Abend zum ersten Mal nicht mit ihrem Sohn gemeinsam in die Kammer gegangen - das ist nur eins von vielen Indizien, die für sie als Verursacherin des Feuers sprechen. Neugierig sog ich als Leserin alle Informationen auf, las Argumente und Gegenargumente und begann, mir mein eigenes Bild zu machen.

Das Besondere an dieser Geschichte ist aber nicht der Prozess an sich, sondern die wechselnden Perspektiven. Drei Mütter mit ihren Kindern und ein Mann waren an jenem Abend zur Therapie da, außerdem Young, Pak und ihre Tochter Mary. Die Überlebenden wohnen dem Prozess bei und denken darüber nach, wie sie den Vorfall sowie die Zeit davor und danach erlebt haben. Dabei wird bald klar, dass es einige Dinge gibt, die sie der Polizei nicht erzählt haben, um sich selbst oder andere zu schützen. Sie reden sich ein, dass es sich um nebensächliche Details handelt, die nichts an der Tatsache ändern, dass Elizabeth die Mörderin ist. Für den Leser, der als einziger alle Geheimnisse erfährt, entsteht dadurch jedoch ein neues Bild, das zahlreiche neue Fragen aufwirft.

Während ich gespannt weiterlas, erhielt ich umfassende Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Beteiligten. Young und Pak sind aus Korea ausgewandert, um ihrer Tochter Mary in Amerika ein besseres Leben zu bieten. Dazu mussten sie zahlreiche Entbehrungen in Kauf nehmen und vor allem Mary wird in der Schule immer wieder rassistisch beleidigt. In Teresa sehen viele Mitmenschen nur die Mutter eines behinderten Kindes, und auch bei Elizabeth war das lange so. Neben all den Geheimnissen, Lügen und der Frage, was denn nun wirklich passiert ist bietet der Roman eine interessante Auseinandersetzung mit der koreanischen Kultur, Rassismus und dem Umgang mit Kindern, die nicht dem Durchschnitt entsprechen.

Mich konnte das Buch von Beginn an packen. Auch während ruhigerer Episoden las ich neugierig weiter. Ich wurde ins Nachdenken gebracht und schließlich wieder von der nächsten Wahrheit überrascht, durch die manches neu interpretiert werden muss. Ein intensives Buch, das ich sehr gerne weiterempfehle!
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