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Freitag, 27. März 2020

Rezension: Offene See von Benjamin Myers


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Offene See
Autor: Benjamin Myers
Übersetzer: Klaus Timmermann und Ulrike Wasel
Hardcover: 270 Seiten
Erschienen am 20. März 2020
Verlag: DuMont Buchverlag

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Der Zweite Weltkrieg ist seit einem Jahr vorbei, als Robert 16 Jahre alt wird. Er ist in der Bergbaustadt Durham aufgewachsen und sein beruflicher Weg scheint vorbestimmt: Er wird in der Zeche arbeiten wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Doch vorher will er etwas vom Land sehen, und so bricht er nur mit dem Nötigsten ausgestattet auf. Er schläft im Freien und verdient sich seine Mahlzeiten, indem er seine helfenden Hände anbietet. Schließlich erreicht er die Küste, wo er von der Bewohnerin eines Cottages auf einen Brennesseltee eingeladen wird. Diesen hat er noch nie getrunken, und so sagt er zu. Dulcie entpuppt sich als als weltoffene Dame, die Roberts mit gänzlich neuen Perspektiven und Ideen in Kontakt bringt.

Die Geschichte nimmt den Leser mit in das Jahr 1946 und den Nordosten Englands, wo Robert durch die Landschaft streift mit dem Ziel, endlich mehr vom Land zu sehen als nur seine Heimatstadt. Das Tempo ist ruhig und der Autor nimmt sich Zeit, dem Leser die Umgebung, durch die Robert sich bewegt, ebenso wie die Gedanken, die ihn dabei begleiten, zu schildern.

Die Begegnung mit Dulcie gibt seiner Reise eine ganz neue Richtung. Bislang hat er sich vor allem physisch vom ihm Bekannten wegbewegt. Durch Dulcie erhält er Zugang zu neuen Gedanken, Gefühlen und Geschmäckern. Ich fand es interessant, den Umgang zweier so unterschiedlicher Charaktere, die sich zufällig begegnet sind, zu erleben. Aus der Einladung zum Tee wird eine Einladung zum Abendessen, und schließlich beitet Robert an, sich auf dem Grundstück nützlich zu machen, um noch einige Zeit bei der ihn intellektuell faszinierenden Dulcie zu verbringen.

Dulcie ist eine exzentrische, schon etwas ältere Dame, die schon viel von der Welt gesehen hat. Sie ist sarkastisch, nimmt Wörter in den Mund, die Robert Röte ins Gesicht treiben und teilt bereitwillig ihre Mahlzeiten mit ihm, welche sich für die Nachkriegszeit als erstaunlich üppig und vielfältig erweisen. In ihrem Leben hat sie viele Künstler getroffen und gefördert. Als sich das Gespräch der Literatur und Lyrik zuwendet, leiht sie Robert zahlreiche Bücher, die sie begeistern konnten und an die er sich mit zunehmender Begeisterung wagt.

Die Sprache der Geschichte ist sehr poetisch und der Fokus liegt auf Roberts Gesprächen mit Dulcie und dem Einfluss, den das auf sein Denken und Tun hat. Dulcie hütet zudem ein schmerzliches Geheimnis, das sie Robert Stück für Stück offenbart. Lyrik und die daraus erwachsenden Gefühle spielen eine große Rolle. Mir fällt es nicht leicht, Zugang zu Lyrik zu finden, sodass ich mich auch hier ein wenig schwer damit getan habe.

„Offene See“ ist ein Coming of Age Roman, der in ruhigen und poetischen Tönen von einer Reise zu neuen Ufern berichtet. Die Atmosphäre ist lebensbejahend und melancholisch zugleich. Eine Geschichte rund um die Frage, wer man ist und sein will, die ich gerne an lyrisch interessierte Leser weiterempfehle.