Rezension von Ingrid Eßer
*Werbung*
Titel: 1000 Serpentinen Angst
Autorin: Olivia Wenzel
Erscheinungsdatum: 04.03.2020
Verlag: S.Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103974065
-----------------------------------------------------------------------------------------------
Mit „1000 Serpentinen Angst“ hat die in Berlin lebende
Autorin Olivia Wenzel ihren ersten Roman vorgelegt. Wie schon der Titel
andeutet, leidet ihre unbenannte Protagonistin, eine junge Frau im Alter von
Mitte 30 und Projektmanagerin im E-Commerce, unter einer Angststörung. Sie hat
Flugangst, Angst vor Terror in allen Abstufungen und schließlich Angst vor der
Angst. Aber sie ist aufgeschlossen, wissbegierig und vor allem reiselustig. Sie
beobachtet genau und speichert die Szenen ab, um sie jederzeit wieder abrufen
zu können. Leider sind ihre Erinnerungen nicht immer positiver Art.
Die Autorin lässt in ihre Geschichte durchgehend symbolisch
einen Snackautomaten als Herz der jungen Frau einfließen. Sie steht immer
wieder an einem Bahnsteig vor einem solchen Kasten. Die Orte, an denen sie sich
dabei aufhält, sind wechselnd über die ganze Welt verstreut, Der Inhalt des
Automaten ist vielfältig, so bunt wie das Leben. Als Kind hat sie für ihr
Taschengeld Kaugummi mit Goodie gezogen, aber was sie sich gewünscht hat, ist
selten erschienen. Heute kann sie direkt wählen, doch die große Auswahl macht
es ihr nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Später ist der Automat
kleiner und damit unauffälliger geworden. Um die Sicht auf den Inhalt zu
erhalten, muss die Protagonistin sich bücken, sich selbst klein machen und sich
biegen, aber die Auswahl ist vorhanden und es tut gut, sich seinen Wunsch zu
erfüllen.
Geboren ist die junge Frau im Osten Deutschlands als Tochter
einer alleinerziehenden Mutter und eines angolanischen Vaters, der in die
Heimat zurückgekehrt ist. Bei ihrer Großmutter, dem Sozialismus verbunden, ist
sie gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder eine Weile aufgewachsen. Ihre Mutter
hat sich als Jugendliche zum Punk gewandelt und auf diese Art gegen das System
rebelliert. Im Teenageralter hat die Protagonistin einen großen Verlust
hinnehmen müssen. Aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe fiel sie oft ungewollt auf.
Für die junge Frau ist es nicht einfach, ihren eigenen Weg
zu finden und gesellschaftspolitisch eine eigene Meinung zu bilden. Sie lehnt
jede Art von Gewalt ab genauso wie jede Form der Diskriminierung.
Olivia Wenzel findet eine ganz eigene Erzählweise. Ihr Roman
ist in drei Teile geteilt. Der erste und letzte Teil ist vorwiegend im
Frage-Antwort-Stil geschrieben. Die Fragen sind durchgehend in Großbuchstaben
geschrieben und dementsprechend fordernd. Die fragende Person bleibt unbenannt.
Das Stil erinnerte mich teils an Pressekonferenzen, bei denen die Interviewer
vorbereitete Fragen stellen, auch wenn sie nicht zur Situation passen, weil es
Fragen sind, die zu ihnen gehören und die sie immer in ihrem Repertoire haben.
Die junge Frau antwortet, bleibt gelassen, rückversichert sich und lässt
manchmal durch die Fragen angeregt ihre Gedanken schweifen. Während des dritten
Teils ändert sich die fragende Person und schlüpft in die Rolle der jungen
Frau, die nun aus zwei Perspektiven spricht.
Die Mitte des Romans besteht zu einem großen Teil aus der
Betrachtung von Fotos, die für das Leben der jungen Frau von Bedeutung sind.
Rückblicke auf Kindheit und Jugend stehen neben Reisen in die USA und nach
Vietnam, der Heimat einer ihrer Freundinnen, während sie ebenso ihren Alltag in
Berlin meistert.
Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ ist
vielschichtig. Er vermittelt Lebensfreude ebenso wie Ängste, von denen man sich
aber nicht entmutigen lassen sollte. Liebe in allen Schattierungen und die
Frage danach, wo man sich Zuhause fühlt sind weitere Themen. Während des Lesens
fragte ich mich häufiger, wie viel Selbsterlebtes die Autorin in ihre
Geschichte einfließen ließ, vor allem weil sie eine große Empathie für ihre Figuren
und deren Handlungen zeigt. Gerne empfehle ich den Roman weiter.