Der Roman „Das wirkliche Leben“ ist das Debüt der Belgierin Adeline
Dieudonné. Sie lässt ihre unbenannte Protagonistin als Ich-Erzählerin
auftreten, die davon erzählt, wie sie von Kind an darum bemüht ist, ihr
wirkliches Leben zu führen. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, der über
Jahre hinweg von ihr fordert, dass sie die Gegebenheiten in ihrer Jugend akzeptiert.
Die namenlose Erzählerin schildert ihre Erlebnisse im
Rückblick. Als sie zehn Jahre alt ist und ihr Bruder sechs ereignet sich ein
verstörender Unfall bei dem die Geschwister miterleben, wie jemand auf
außergewöhnliche Weise ums Leben kommt. Die Protagonistin nimmt ab diesem
Zeitpunkt eine Wesensänderung bei ihrem Bruder wahr und für sie selbst ist es
der Auslöser für die Idee, die Vergangenheit zu ändern, damit das dann kommende
Leben eine Wirklichkeit wird, die nicht nur sie, sondern auch ihren Bruder
glücklich macht.
Die Familie lebt in einer Reihenhaussiedlung. Hinter der
immer gleichen Fassade wohnen ganz unterschiedliche Menschen. Doch das Haus der
Familie am Ende der Hausreihe unterscheidet sich ein wenig von den anderen und
fällt dadurch ins Auge. Was wie bei den anderen Häusern nicht auffällt, ist
das, was sich hinter den Türen ereignet.
Der Vater der Familie ist begeisterter Jäger und geht gern
auf Großwildjagd. Ein Zimmer im Haus ist ausschließlich mit seiner
Trophäensammlung ausgestattet. Trotz Verbots schleichen die Geschwister
sich immer wieder ins Zimmer, voller widerstreitender Gefühle in Anbetracht der
ausgestellten Tiere.
Die Mutter ist Hausfrau und züchtet wenige Ziegen. Sie bleibt
unscheinbar, immer bereit, der Wut des Ehemanns zu entgehen und stattdessen
seine Belehrungen und Weisungen entgegen zu nehmen. An der Protagonistin geht
das Verhalten ihrer Eltern nicht unbemerkt vorbei, sondern sie fühlt sich und
ihren Bruder immer tiefer hineingezogen in die eingeschliffenen Verhaltensweisen
ihrer Eltern und deren Erwartungen entsprechende Rollen nach eigenem Vorbild
einzunehmen. Um nicht so farblos zu werden wie ihre Mutter bemüht sie sich in
der Schule um beste Noten und erhält auf diese Weise eine Anerkennung, die sie
in der Familie nicht findet. Außerdem erhofft sie sich durch ihre Wissbegier, eine
Lösung für die Umsetzung ihrer Idee zu finden.
Die Sprache ist einfach, dem Alter der Protagonistin während
der Ereignisse angepasst. Es sind gerade die kurzen Sätze, die eine besondere Brisanz
in die Erzählung bringen und mit ihrer Aussage das Gewicht verdeutlichen, dass
ein junges Mädchen beim Heranwachsen zu tragen hatte. Zwar ist die Geschichte
nur fiktiv und dennoch beschreibt sie eine mögliche Realität mit großem
Ausdruck, der mich als Leser beeindruckte.
„Das wirkliche Leben“ von Adeline Dieudonné erzählt die
Coming-of-Age Geschichte bizarrer Art einer ungenannten Jugendlichen, die
nachdenklich stimmt und in Erinnerung bleibt. Gerne empfehle ich den Roman weiter,
möchte aber auf die teils aufschreckenden Beschreibungen hinweisen.