Das Buch „Wild Game“ der US-Amerikanerin Adrienne Brodeur
ist die wahre Geschichte der Beziehung zwischen der Autorin und ihrer Mutter
Malabar. Der Untertitel „Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich“ stellt die
Brisanz der Erzählung heraus, denn Adrienne Brodeur wurde unwillentlich zur
Mitwisserin der langjährigen Affäre Malabars. Der Titel nimmt Bezug auf das
Schreiben eines Kochbuchs über Wildgerichte, denn das Projekt bildet den Grund
für Treffen zwischen den Liebenden ohne das ihre Liaison auffällt.
Ende der 1970er Jahre ist Adrienne, kurz Rennie gerufen, 14
Jahre alt. Jedes Jahr verbringt die Familie ihre Ferien im eigenen Ferienhaus
auf Cape Code. Freunde sind hier herzlich willkommen, besonders häufig sind
Ben, ein langjähriger Freund von Rennies Stiefvater Charles, und seine Frau
Lily zu Gast. Nach einem feuchtfröhlichen Abend mit den Freunden wird Rennie
mitten in der Nacht von ihrer Mutter geweckt, die ihr mitteilt, dass Ben sie
geküsst hat. Anders als die Ich-Erzählerin erwartet, hat Malabar sich sehr über
den Kuss gefreut. Es ist der Beginn eines leidenschaftlichen Liebesverhältnisses
in dem Adrienne eine immer aktivere Rolle einnimmt, um ablenkende Situationen
zu schaffen.
Anders als bei einem Roman steht die Realitätsnähe hier
nicht in Frage. In einleitenden Worten informiert die Autorin darüber, dass die
Geschichte ihre Ansicht der Ereignisse darstellt, die sie nicht nur aufgrund
ihrer Erinnerungen, sondern auch anhand von Fotos, Aufzeichnungen und weiterer
Fakten geschrieben hat. Sie schildert die heiteren Tage ihrer Mutter am Meer,
die unterbrochen sind von den trüben Tagen im Alltag. Nicht nur Malabars Name
ist ungewöhnlich, sondern auch ihre Vergangenheit. Rennies Mutter steht gern im
Mittelpunkt. Ihre glänzenden Kochkünste geben ihr immer wieder kleine
Erfolgserlebnisse, doch sowohl Malabar wie auch Ben sind an Ehepartner
gebunden, die von Krankheit gezeichnet sind. Ihr Aktionsradius ist daher
eingeschränkt, denn sie fühlt sich Charles verpflichtet. Gerne würde sie, die
in Indien geborene und in ihrer Kindheit weit Gereiste, Abenteuer erleben und
die Welt kennenlernen.
Die noch junge Adrienne hat widerstreitende Gefühle, wenn
sie über die Affäre nachdenkt. Einerseits fühlt sie sich durch die Mitteilung
des Geheimnisses geschmeichelt und hofft, dass sich dadurch eine besondere Nähe
zu ihrer Mutter einstellt, andererseits sieht sie den Seitensprung als
verwerflich an, weil ihr bewusst ist, dass das Bekanntwerden beide Ehen
zerstören könnte. Sie nimmt die Einschränkungen wahr, die ihre Mutter hinnimmt
und sie entscheidet sich dafür, ihr dabei zu helfen, Freiräume zu schaffen,
damit Malabar ihre Gefühle ausleben kann. Doch je länger die geheime Beziehung
anhält, desto deutlicher werden für Rennie die Auswirkungen auf ihr eigenes
Leben durch ihre ständige Bereitschaft zur Organisation von Ablenkungsmanövern.
Besonders schwierig wird die Frage, wie sie die Angelegenheit in ihre eigenen
Partnerschaften einfließen lassen soll.
„Wild Games“ von Adrienne Brodeur ist die sehr persönliche
Coming-of-Age-Geschichte der Autorin. Sie thematisiert nicht nur ihre besondere
Beziehung zu ihrer egozentrischen Mutter, sondern vor allem deren jahrelang
dauernde Liebesaffäre zum besten Freund des Stiefvaters, die nicht nur einen breiten
Raum in ihrem eigenen Leben eingenommen, sondern es auch tiefgreifend
beeinflusst hat. Zwar ist die Erzählung nicht einzigartig, zeigt aber auf
vielfache Weise und bewegend auf, welche Abhängigkeiten und Einflüsse in einem
Familienkonstrukt zum Tragen kommen können. Gerne vergebe ich eine
Leseempfehlung.