Rezension von Ingrid Eßer
Wilhelmina Wolthuis, kurz Willy, ist 24 Jahre alt und
arbeitet neben ihrem täglichen Bürojob im Jahr 1926 als Platzanweiserin in der Konzerthalle
in New York. Ihren Lohn aus beiden Jobs muss die junge Frau, die noch bei ihren
Eltern wohnt, zu Hause abgeben. Doch sie ist genügsam, denn ihr Leben ist die
Musik und ihr ganzer Stolz ist ein Klavier, das ihr Vater, der bei einem
Entsorgungsunternehmen beschäftigt ist, beim Müll gefunden und ihr zum zehnten
Geburtstag geschenkt hat. In der kleinen Wohnung im Mehrfamilienhaus ist das
Klavierspiel wegen der Nachbarn schwierig, doch sie wendet ihre gesamte
Freizeit dafür auf, denn sie wünscht sich nichts mehr, als eines Tages ein
Orchester zu dirigieren. Der Weg ist nicht nur schwer, weil sie aus einfachen
Verhältnissen kommt, sondern vor allem, weil sie eine Frau ist. Das Verhältnis
zu ihrer Mutter ist getrübt und als sie eines Tages erfährt, dass sie adoptiert
ist, gelingt es ihr, sich vom Elternhaus zu lösen und einzig ihrem Traum
nachzugehen. Dafür ist sie bereit, Opfer zu bringen, die darin bestehen, auf
viele Dinge des Konsums, aber auch auf eine feste Partnerschaft zu verzichten.
Maria Peters schreibt in ihrem Roman „Die Dirigentin“ über
die historische Figur der Antonia Brico, die als Willy Wolthuis heranwächst,
und ihren steinigen Weg, der sie zur ersten Dirigentin eines Orchesters von
Weltruf macht. Für ihre Erzählung hat sie eine weniger bekannte Persönlichkeit
gewählt, die mir vorher nicht präsent war. Bei ihrer Geschichte hat die Autorin
sich einige künstlerische Freiheiten in Bezug auf die Fakten genommen, was zu einer
abwechslungsreicheren Unterhaltung führt. In den einzelnen Kapiteln wechselt
sie die Protagonisten, so dass auch zwei Freunde von ihr zu Wort kommen. Auch
die Lebenswege von Frank und Robin sind interessant. Ihre Perspektive bietet
nochmal einen anderen Blickwinkel auf die Karriere von Antonia und die Wirkung
ihres Engagements auf ihr Umfeld. Durch sie bezieht die Autorin auch weitere,
in den 1920ern und 1930er aktuelle Themen mit ein.
Wie besonders ihr Lebensweg war zeigt auch eine heutige
Sicht auf die Musikwelt, in der Dirigentinnen bedeutender Orchester nach wie
vor unterrepräsentiert sind. Lange war es ihnen sogar vielerorts verboten, bei
ihren Auftritten Hosen zu tragen. Vor dem Schreiben ihres Romans hat Maria
Peters bereits einen Film über Antonia Brico gedreht. Es gelingt ihr nun auch
in schriftlicher Form, das Leben von Antonia wirklichkeitsnah darzustellen. Als
Leserin war ich den Gedankengängen der Protagonistin als Ich-Erzählerin mit all
ihren Zweifeln und Ängsten ganz nah. Obwohl die Autorin eine historische Figur
beschreibt, deren Lebensweg sich in den Medien nachlesen lässt, konnte sie mich
durch die fiktionalen Elemente ihres Romans immer wieder überraschen
„Die Dirigentin“ von Maria Peters ein Buch über eine junge
Frau, die für ihren Lebenstraum in einer von Männern beherrschten Domäne
kämpft. Auch wenn sie manches Mal in ihren Szenen einiges Klischee einbringt,
so ist dieser Kunstgriff der Autorin auch der Darstellung geschuldet, die auftretenden
Probleme auf dem Weg der Antonia Brico herauszustellen. Gerne empfehle ich den
Roman weiter.