Rezension von Ingrid Eßer
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Im Buch „Die Kinderbuchbrücke“ hat Jella Lepman ihre
Erinnerungen an den Aufbau der Internationalen Jugendbibliothek in München, an
dem sie maßgeblich beteiligt war, festgehalten. Zu ihrem 50. Todestag am
04.10.2020 ist eine Neuauflage in schöner Aufmachung im Verlag Antje Kunstmann
erschienen.
Jella Lepman wurde 1891 in Stuttgart geboren. Bereits mit 31
Jahren verwitwete sie und blieb mit den beiden kleinen gemeinsamen Kindern zurück,
die nun allein für den Unterhalt der kleinen Familie sorgen musste. Sie wurde
die erste weibliche Redakteurin beim „Stuttgarter Neuen Tagblatt“, aber als
Jüdin verlor sie im Herbst 1935 jede Möglichkeit der Mitarbeit. Ein Jahr später
emigrierte sie mit ihren Kindern nach England, hier arbeitete sie in den
nächsten Jahren journalistisch.
Nach dem Ende des Zeiten Weltkriegs erhielt sie eine Anfrage
der US-Armee, im amerikanischen Hauptquartier in Bad Homburg als Beraterin „für
die kulturellen und erzieherischen Belange der Frauen und Kinder“ zu arbeiten. Für
Jella Lepman, deren Leben sich grundlegend wegen des Antisemitismus in
Deutschland vor dem Krieg verändert hatte, standen bei ihrer Entscheidung für
eine Zusage die Kinder im Vordergrund. Das Wort „Umerziehung“ stand im Raum und
Jella Lepman erkannte, dass internationale Kinder- und Jugendbücher, die lange
Zeit verboten waren, eine Möglichkeit sind, den deutschen Kindern die Welt außerhalb
Deutschlands nahe zu bringen. Daher wollte sie eine „Bücherbrücke“ bauen. Ihre
Memoiren setzen mit dem Beginn ihres Engagements in dieser Sache ein.
Es ist erstaunlich mit welcher Vehemenz, auch auf manchmal
unkonventionelle Weise, sie ihr Ziel verfolgt hat. Immer wieder registriert
sie, dass von den Erwachsenen die vergangenen Jahre einfach ignoriert werden. Aber
sie ist überzeugt, dass sie durch ihre Arbeit zur Völkerverständigung beitragen
und auf ihre Weise die Kinder zum Frieden erziehen kann. Dafür nimmt sie nie
enden wollende Arbeitstage und beengte und kalte Räumlichkeiten in Kauf. Es ist
eindrucksvoll davon zu lesen, mit welchen Personen sie Kontakt aufnahm und mit
wem sie sich persönlich getroffen hat. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz konnte
sie viele Menschen begeistern und sie dazu bringen, ihr Projekt zu
unterstützen. Jella Lepman vergisst aber auch nicht die Widerstände und
Rückschläge in ihre Erinnerungen einzuflechten.
Von der zunächst vorgesehenen Ausstellung 1946 im Haus der
Kunst in München entwickelte sich schnell der Gedanke hin zu einer Kinder- und
Jugendbuchbibliothek. Endlich war es am 14.09.1949 soweit, dass die Internationale
Jugendbibliothek eröffnet werden konnte. Immer wieder gelang es ihr mit Hilfe
ihres ständig wachsenden Teams, frische neue Einfälle umzusetzen. Beispielsweise
wird das Erlernen von Sprachen ermöglicht und das Malen von Bildern, die Geschichten
werden gespielt und neue erdacht. Jella Lepman erzählt mit einigen amüsanten Histörchen
und über Ereignisse, von denen sie selbst tief bewegt wurde. Der Text ist mit
vielen Fotos aus der damaligen Zeit versehen und wird eingeleitet mit einem
Vorwort von Dr. Christiane Raabe, der heutigen Direktorin der Internationalen
Jugendbibliothek, die darauf hinweist, dass die Worte Jella Lepmans im Kontext
ihrer Zeit zu sehen sind.
Mir brachte das Buch nicht nur eine Person näher, die mir
bisher nicht bekannt war, sondern öffnete mir auch den Fakt, dass die Internationale
Jugendbibliothek heute als Archiv dient und weiterhin die Ziele Jella Lepmans
verfolgt, mit den Kinder- und Jugendbüchern für Verständnis und Toleranz zwischen
den Kulturen beizutragen. Gerne habe ich die Erinnerungen ihrer Gründerin gelesen
und empfehle sie gerne weiter.