Der titelgebende Protagonist des Romans „Kalmann“ von
Joachim B. Schmidt ist 33 Jahre alt und lebt im Norden Islands in dem nur 173
Einwohner zählenden Raufarhövn. Er ist bei seiner Mutter und seinem Großvater
Odin in dessen Haus großgeworden. Von anderen hat Kalmann erfahren, dass er über
keine besondere Intelligenz verfügt. Odin hat ihm beigebracht den Alltag zu
meistern, aber inzwischen lebt sein dementer Großvater in einem Pflegeheim.
Polarfuchsjäger und Haifischfänger ist Kalmanns Berufung.
Sein amerikanischer Vater hat ihm einige Sachen aus Familienbesitz geschenkt
und mit Würde trägt er den Cowboyhut und den Sheriffstern, die ihm dabei helfen
seine Courage und seinen Anspruch, sein Dorf zu beschützen, nach außen zu
tragen. Eines Tages findet er bei einem Streifzug durch die Gegend eine
Blutlache, die sich langsam mit dem fallenden Schnee vermischt. Blut an seinen
Händen wirft im Dorf Fragen auf und setzt eine Serie von Ereignissen in Gang,
die der Ort noch nie erlebt hat.
Kalmann erzählt in der Ich-Form, so dass ich an seiner
ständigen Selbstreflektion teilhaben konnte. Er ist ein ungewöhnlicher
Romancharakter. Sein Großvater hat ihm wertvolle Kenntnisse vermittelt und
seine Sinne geschärft. Er ist ein guter Beobachter und ebenso guter Zuhörer.
Obwohl seine sozialen Kontakte aufgrund der abgeschiedenen Ortslage beschränkt
sind, schöpft er aus den Begegnungen und Interaktionen mit den Bewohnern seine
Erkenntnisse. Odin hat ihm viele Regeln für das Zusammenleben und den Alltag
gegeben, an denen er sein Leben ausrichtet, an denen er aber neue Erfahrungen
prüft und einordnet. Seine Ansichten über Frauen sind einseitig und richten
sich nur danach aus, Liebe zu empfangen und Kinder zu bekommen, eventuell hängt
das mit dem Wunsch zusammen, mit einer Partnerin so glücklich wie seine
Großeltern zu werden. Seine Mutter dient dabei eher als negatives Beispiel,
denn sie hat als Alleinerziehende wenig Zeit für ihn als Kind gehabt. Er ist
fleißig und eifert in vielem Odin nach. Seine unberechenbare Wut hielt jedoch
meine Sympathie für ihn in Grenzen.
Joachim B. Schmidt ließ mich tief eintauchen in die
verschneite Landschaft der Insel. Er versteht es sehr gut, die Atmosphäre eines
abgelegenen Orts mit wenigen Einwohnern zu vermitteln. Im Laufe der Erzählung
wurden die Sorgen und Probleme der Bewohner immer deutlicher. Lebten sie früher
vom Fischfang, so ist die Branche heute aufgrund einer Fangquotenregelung kaum
noch von Bedeutung. Gleichzeitig wirkt sich der Umstand ebenfalls auf die damit
in Zusammenhang stehende Verarbeitung der Fische aus. Jedoch zeigt der Autor
auch, dass aktuelle weltpolitische Themen nicht an Island und nicht an einem
kleinen Ort im Norden der Insel vorbeigehen. Der Autor erzählt einiges über die
Kultur der Isländer. Ich war darüber verwundert, dass es den beschriebenen
arktischen Steinkreis tatsächlich auf Island gibt, um damit Touristen
anzuziehen.
„Kalmann“ von Joachim B. Schmidt ist ein Roman mit
kriminalistischen Elementen, der von einem gutmütigen, besonderen Alltagshelden
handelt. Seine Arglosigkeit, die verbunden ist mit gelebten Regeln, die immer
wieder auf den Prüfstand geraten, regt zum Nachdenken über viele Details an,
die uns sonst bei unseren täglichen Verrichtungen verborgen bleiben. Gerne
vergebe ich eine Leseempfehlung.