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Den Roman „Die vergessene Heimat“ hat Deana Zinßmeister
angelehnt an die Geschichte ihrer eigenen Familie geschrieben. Sie wusste, dass
ihre Eltern Leni und Ernst mit weiteren Verwandten im August 1961, als in
Berlin mit dem Mauerbau begonnen wurde, aus der damaligen Deutschen
Demokratischen Republik geflohen sind. Doch die Einzelheiten waren der Autorin bis
zur Erkrankung ihres Vaters Jahre später nicht bekannt, weil aufgrund der auch
weiterhin bestehenden Angst vor der Stasi wenig darüber gesprochen wurde.
Der Titel deutet nicht nur darauf hin, dass die Ereignisse
durch aktuelles Zeitgeschehen in den Hintergrund rückten, sondern vor allem
weist er auf die Demenzerkrankung von Ernst hin, die über 50 Jahre nach der
Flucht offensichtlich wird. Er war seit jeher ein guter Geschichtenerzähler,
durch Auslandtätigkeiten hatte er viel erlebt. Aber nun verfängt er sich
innerhalb kurzer Zeit in eine Welt, in die ihm niemand folgen kann und die auf
Außenstehende einen abstrusen Eindruck vermittelt. Durch Nachfragen der Tochter
werden ihr immer mehr Einzelheiten über die damalige Flucht bekannt.
Sehr gekonnt wechselt Deana Zinßmeister zwischen den
Geschehnissen im Jahr 1961 und den aktuellen Ereignissen rund um die Krankheit
des Vaters. Es scheint, dass die Autorin darum in die Rolle ihrer Figur, der
Kochbuchautorin Britta Hofmeister, schlüpft, um den nötigen Abstand zu dem
selbst Erlebten zu erhalten. Doch es ist deutlich spürbar wie tief ihre
Verzweiflung ist aufgrund ihrer Hilflosigkeit gegen das Leiden ihres Vaters.
Sie beschönigt nichts, nicht die Schwere und den unaufhaltsamen Fortschritt der
Krankheit und auch nicht die zunehmende Belastung der Familie bei der Pflege
bis hin zum Für und Wider der Unterbringung des Vaters in einem Heim. Da ich
als junge Frau etwas ähnliches in meiner Familie erlebt habe, rührte die
Erzählung meine Erinnerung daran wieder auf. Die Gefühle von Britta konnte ich
dadurch sehr gut nachvollziehen. Die Autorin erzählt absolut authentisch, mit
sehr viel Einfühlungsvermögen. Ich habe bewundert, wie viele Engagement sie
dafür eingesetzt hat, die Krankheit zu verstehen.
Auch die Geschehnisse der Flucht sind bewegend und
ungewöhnlich. Es ist eine unterschwellige Spannung spürbar. Ich hoffte darauf,
dass alle Personen der Gruppe, die fliehen wollten, die innerdeutsche Grenze
unbeschadet überwinden würden. Auch hier sind die Bedenken und die Ängste der
Republikflüchtlinge realistisch und glaubhaft dargestellt. Interessant waren
auch die Einblicke in das Notaufnahmelager Marienfelde.
„Die vergessene Heimat“ ist ein aufwühlender Roman,
einerseits über das Empfinden der Menschen in den Tagen des Mauerbaus in Berlin
und über die damit verbundene Flucht aus der DDR sowie andererseits über die
emotionale Beschreibung einer Demenzerkrankung in der jetzigen Zeit. Die
ineinander verwobenen Geschichten sind umso intensiver zu erleben, weil sie auf
wahren Begebenheiten in der Familie der Autorin beruhen. Ich finde es einen mutigen
Schritt, dass Deana Zinßmeister diese wichtigen, beeindruckenden Geschichten
mit ihren Lesern teilt und empfehle das Buch sehr gerne weiter.