Montag, 12. Oktober 2020

Rezension: Herzfaden von Thomas Hettche

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Herzfaden
Autor: Thomas Hettche
Erscheinungsdatum: 10.09.2020
Verlag: Kiepenheuer und Witsch (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783462052565
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In seinem Roman „Herzfaden“ verbindet Thomas Hettche zwei Handlungsebenen. Der Untertitel kündigt es bereits an, dass er einerseits die Geschichte der Augsburger Puppenkiste und der Tochter des Gründers sowie Puppenschnitzerin Hannelore Marschall-Oehmichen erzählt, von den ersten Anfängen an bis zu Beginn der 1960er Jahre. Andererseits hat der Autor sich eine märchenhafte Geschichte ausgedacht von einem 12-jährigen Mädchen, das sich nach einer Vorstellung der Puppenkiste vor seinem Vater im Foyer des Theaters versteckt, eine verborgene Tür entdeckt und durch diese in eine magische Welt der Marionetten hineingezogen wird.

Die beiden Erzählstränge sind leicht zu unterscheiden, denn das fiktionalisierte Leben von Hannelore, genannt Hatü, findet sich in blauem Druck im Buch, die reine Fantasie ist rot gedruckt. Auf diese Weise können diejenigen, deren Interesse lediglich nur einem der beiden Schilderungen gilt, ohne Mühe der von ihnen priorisierten Handlung folgen. Wesentlich für beide Erzählungen ist der Herzfaden, der dem Buch den Titel gibt. Der Herzfaden ist, nach der Erklärung von Hatüs Vater, die Verbindung der Marionette zum Herzen des Menschen. Sie ist unsichtbar, aber zum Transport all der Emotionen geeignet, die, obwohl „nur“ eine Holzpuppe, durch ihre Spielweise an ihren Zuschauer weiterzugeben in der Lage ist.

Bald nach Ausstrahlung der ersten Sendungen wird das Fernsehen auf die Puppenkiste aufmerksam. Die Frage steht im Raum, ob sich auch hier ein Herzfaden entwickeln kann. Ich finde ja, denn ich war als Kind eine begeisterte Zuschauerin der im Fernsehen gezeigten Aufzeichnungen. Umso begeistertet war ich, als ich im Roman einige Figuren wie beispielsweise das Urmel, die Prinzessin Li Si und auch Jim Knopf wiederfinden konnte.

Die Augsburger Puppenkiste entwickelte sich aus ersten Anfängen nach einer Idee von Walter Oehmichen. Er und seine Frau sind Theaterschauspieler. Schon in Kriegstagen bastelte er einen sogenannten Puppenschrein, der in einen Türrahmen passte, und schon drei Monate später bei einem Bombenangriff auf Augsburg restlos verbrannte. Es gab viele Höhen und Tiefen, die die Familie Oehmichen erlebte und mich als Leser berührten, bis sich 1948 die Bretter der bis heute bekannten Augsburger Puppenkiste zum ersten Mal für die Zuschauer öffneten. Hatü war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Ihre Passion sieht sie nicht nur im Führen der Figuren, sondern vor allem im Schnitzen.

Nicht nur Kinder sind von den Stücken zu begeistern, sondern auch Erwachsene. An Seite der kleinen Marionetten können sie sich in eine Fantasiewelt versetzen, jenseits der schweren Zeiten, die die Bevölkerung noch lange nach Ende des Weltkriegs in der Bevölkerung durchlebte. Wobei auch die märchenhafte Erzählung den heutigen Lesern des Buchs deutlich macht, dass Illusion Grenzen des Denkens überwindet. Thomas Hettche verbindet die beiden Handlungsebenen durch ein Geheimnis um die Entstehung des Kaspars, das erst zum Ende aufgedeckt wird.

Der Roman „Herzfaden“ von Thomas Hettche ist ein Roman für Leser, die das Staunen eines Kindes über die reale und magische Welt nicht verlernt haben. Wunderschön wird der Text von Zeichnungen von Matthias Beckmann, die alle in Bezug zur Puppenkiste und seinen Figuren stehen, illustriert. Sehr gerne vergebe ich zum Buch eine uneingeschränkte Leseempfehlung.


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