Rezension von Ingrid Eßer
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Susanne lebt seit 42 Jahren in Kirchheim unter Teck. Sie ist
verheiratet, hat drei Kinder und hilft ihrem Bruder Martin in dessen Café als
Bedienung aus. Eines Tages fällt ihr dort eine ältere Frau mit einem langen
weißen Zopf und buntem Schultertuch auf, die interessiert ihre Umgebung
beobachtet. Es ist die in Lappland lebende Ida, die später behauptet, die
Schwester von Susannes Mutter Christel zu sein. Doch Susanne, die schon zeit
ihres Lebens im Ort wohnt, hat noch nie von Ida gehört, auch ihr Bruder nicht.
Christel ist dement und lebt inzwischen in einem Seniorenheim und kann keine
Auskunft geben. Der Roman „Tage mit Ida“ von Hiltrud Baier begleitet Susanne
auf der Suche nach der Geschichte hinter der Behauptung Idas.
Die Autorin entwickelt ihren Roman zunächst auf zwei
Handlungsebenen. Die Haupthandlung spielt im Jahr 1999 und wird später
durchgehend fortgesetzt, eine weitere blickt zurück auf längst vergangene
Ereignisse zwischen 1928 und 1939. Das Familiengeheimnis wird bis fast zum Ende
bewahrt und erhält eine gewisse hintergründige Spannung aufrecht.
Im Laufe der Erzählung lernte ich Susanne und Ida näher
kennen. Beide haben einige Gemeinsamkeiten, die aber auf den ersten Blick nicht
augenfällig sind. Als Susanne Ida kennenlernt befindet sie sich gerade in einer
Selbstfindungsphase. Sie stellt ihre Rolle als Hausfrau und Mutter in Frage,
denn bald wird auch schon ihr jüngster Sohn flügge werden. Während ihr Ehemann
beruflich bedingt in der Woche auswärts wohnt, bleibt ihr genügend Zeit ihr
Leben zu überdenken. Mit viel Einfühlungsvermögen schildert die Autorin ein
realistisches Szenario, das ich gut nachvollziehen konnte.
Hiltrud Baier bringt in ihren Roman nicht nur ihre
Kenntnisse zu Kirchheim unter Teck ein, wo sie lange gelebt hat bevor sie nach
Schweden auswanderte, sondern auch ihre Liebe für Lappland. Ihre Figur Ida
transportiert einiges über die samische Lebensweise und auch Bräuche. Obwohl
das lange zurückliegende Zerwürfnis zwischen Christel und Ida für eine
angespannte Atmosphäre im Roman sorgt, wird diese doch immer wieder
beschwichtigt durch Erinnerungen Idas, die sich mit ihrem Schicksal
auseinandergesetzt und dieses akzeptiert hat. Anhand von Idas Suche nach ihren
Kindheitswurzeln verdeutlicht die Autorin den Stellenwert der Familie.
Die „Tage mit Ida“ vergingen wie im Fluge. Hiltrud Baier
gelingt eine geschickte, überzeugende Verknüpfung des Schicksals zweier Frauen,
die angereichert ist mit Höhen und Tiefen und immer wieder überrascht, auch
noch zum Ende hin. Ich fühlte mich bestens unterhalten und empfehle den Roman
daher sehr gerne weiter.