Rezension von Ingrid Eßer
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Der historische Roman „Kingsbridge – Der Morgen einer neuen
Zeit“ ist die Vorgeschichte der mit diesem Buch auf vier Bände angewachsenen Bestseller-Reihe
„Kingsbridge“ des Engländers Ken Follett. Der Roman beginnt im Jahr 997 und
schildert die Handlungen der Protagonisten in den darauffolgenden zehn Jahren.
An der englischen Küste sind die Wikinger gefürchtet, die vom
Meer her die Dörfer überfallen, Bewohner zum Verkauf als Sklaven entführen,
Werthaltiges mitnehmen und schließlich Haus und Hof anzünden. Auch im kleinen
Ort Combe kommt es zu einem solchen Angriff. Der nach Unabhängigkeit von seinem
Elternhaus suchende, bald 18-jährige Edgar bemerkt in der Nacht des Überfalls die
Boote der Wikinger als Erster und es gelingt ihm, die Glocke des Klosters zur
Warnung der Bewohner zu läuten. Für viele ist es jedoch zu spät, auch das
Elternhaus von Edgar geht in Flammen auf und sein Vater, ein Bootsbauer, wird
getötet.
Der englische Adel war damals verpflichtet, die Bewohner zu
schützen. Zum Ausgleich ihres Eigentums erhalten die Mutter und die drei
Brüdern daher einen unrentabler Bauernhof in Dreng’s Ferry, dem späteren
Kingsbridge, zugewiesen. Der Ort besteht zu diesem Zeitpunkt aus wenigen
Häusern, einer Schenke und einer Kirche besteht. Nur eine Fähre führt über den
Fluss, keine Brücke.
Währenddessen hat sich Ragnhild, die Tochter des Grafen von
Cherbourg, in der Normandie darauf eingestellt, dass für sie ein passender
Gatte gesucht wird. Die gebildete und manchmal überheblich wirkende junge Frau
möchte eine Partnerin für ihren Gemahl sein, doch das entspricht nicht den
Konventionen ihrer Zeit. Als sie den Aldermann von Shiring trifft, der Herr
über einen Teil Westenglands ist, entwickelt sie tiefere Zuneigung zu ihm.
Wie Ken Follett selber im Nachwort schreibt, gibt es wenig
Schriftliches aus der Zeit des 10. Und 11. Jahrhundert. Weil die Gebäude
meistens aus Holz bestanden, ist auch hier wenig Anschauungsmaterial zu finden.
Und dennoch gelingt es dem Autor den Alltag so zu beschreiben, dass ich mir ihn
als Leser sehr gut vorstellen konnte. Das einfache Volk ist von den
Entscheidungen ihrer Herrschaft abhängig, Ränke und Intrigen sind an der
Tagesordnung, Verschwörungen und immer neue mündlich ausgehandelte Verträge
unter Partnern, die sich je nach Interessenlage zusammenfinden, sind üblich.
Das tägliche Leben zu meistern ist für alle hart, egal
welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehören. Wechselhaftes Wetter und
Ungeziefer, die sich auf die Ernte auswirken sowie Krankheiten, für die keine
Heilmöglichkeit bekannt ist, reduzieren die Bevölkerung. Hinzu kommen die
Gefahren durch vagabundierende Banden und Überfälle durch die Wikinger, die mit
ihren schnellen Booten von See aus überraschend angriffen. Nicht allen
Landstrichen in England ging es gleichmäßig gut, so blickten die Menschen aus
Wales und Cornwall mit Neid auf die in östlicheren Gebieten angesiedelten
reicheren Engländer. Dadurch, dass ein Teil des Romans in Frankreich spielt,
und durch die Figur der an vielen Dingen interessierten Ragnhild stellt Ken
Follett einige politische und gesellschaftliche Unterschiede zu England heraus.
In seinem historischen Roman „Kingsbridge – Der Morgen einer
neuen Zeit“ versteht es Ken Follett ein weiteres Mal die damalige Zeit auf
seine gekonnte Weise lebendig werden zu lassen. Dabei legt er sehr viel Wert
auf Details. Seine gut beschriebenen und dadurch vorstellbaren Figuren, deren
Charakter eher statisch ist, agieren in der Zeit um das Jahr 1000. Die Kenntnis
der übrigen Bücher der Kingsbridge Serie ist für das Lesen nicht erforderlich.
Der Roman ist eine Empfehlung für alle Fans der Reihe, aber auch für diejenigen,
die am Leben zum Ende des ersten Jahrtausends interessiert sind.