Rezension von Ingrid Eßer
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Im historischen Roman „Milena und die Briefe der Liebe“
zeichnet Stephanie Schuster das Leben von Milena Jesenská in den Jahren von
1916 bis 1926 auf. Diese Zeit war geprägt von Milenas Begegnungen, vor allem
aber auch ihrem brieflichen Austausch mit dem Schriftsteller Franz Kafka. Der
Untertitel des Buchs „Kafka ist ihr Leben, das Schreiben ihre Leidenschaft“
beschreibt daher sehr gut in Kurzform diesen wichtigen Lebensabschnitt von
Milena. Es ist eine schöne Idee der Autorin, die Kapitel mit dem Namen von jeweils
einer Blume zu betiteln, die dann auch in der folgenden Handlung zu finden ist.
Milena wächst unbesorgt als Tochter eines Professors der
Kieferorthopädie in Prag auf. Sie besuchte das Frauengymnasium in Prag. Dem
Wunsch des Vaters entsprechend, begann Milena Medizin zu studieren, um später
die väterliche Praxis zu übernehmen. Doch schon bald wechselte sie das Fach und
studierte Musik. Milena war bekannt dafür, sich Vergnügungen ausschweifend
hinzugeben.
Als sie eine Liaison mit dem jüdischen Literaturkritiker
Pollak beginnt, greift ihr Vater ein und lässt sie bis zur Volljährigkeit in
eine psychiatrische Anstalt einweisen. Dennoch heiraten Milena und Ernst Pollak
später. Ernst hat sie in literarische Kreise eingeführt, in die auch Franz Kafka
verkehrt. Aufgrund ihrer Heirat muss das Paar Prag verlassen und siedelt sich
in Wien an. Von hier aus beginnt die selbstbewusste Milena einen Briefwechsel
mit Kafka, zunächst weil sie sich wünscht, dass sie seine Werke übersetzen
darf. Aber bald schon entwickelt sich aus dem regen Briefverkehr der Wunsch
nach einer persönlichen Begegnung, die schließlich zu tieferen Gefühlen bei
beiden führt.
Stephanie Schuster beschreibt die Romanze zwischen Milena
und Franz realitätsnah. Bisher bekannte Fakten aus dem Leben von Milena und
Kenntnisse aus den bis heute erhaltenen Briefen Kafkas an seine Briefpartnerin
ergänzt sie durch ihre Fantasie. Auf diese Weise stellt sie die gegenseitige
geistige Bereicherung der beiden dar und findet eine Form, die möglichen
Gefühle der beiden zueinander auszudrücken. Die Autorin zeigt die wechselvollen
Zeiten Milenas von der zu Kriegszeiten durch das Elternhaus gut versorgten
Tochter bis zum steinigen Weg in die Unabhängigkeit, auf der Kafka durch seine
Briefe sie begleitet und ihr dadurch rege Unterstützung durch seine Worte
gegeben hat.
Obwohl sie zunächst die Folgen ihres Tuns nicht immer
richtig einschätzt und eher spontanen Aktionen nicht abgeneigt ist, scheint sie
durch den Briefwechsel gelassener zu werden. Rechtzeitig besinnt sie sich auf
das Vorbild ihres Vaters, sich mit einfachen Arbeiten das Lebensnotwendigste zu
verdienen. Ihre später ungeliebte Ehe bietet ihr in dieser Zeit Grenzen, aber
nach außen hin auch den Schutz, den nur verheiratete Frauen haben beispielsweise
vor ungebetenen Avancen. In ihrem Nachwort fasst die Autorin kurz den weiteren
Lebensweg Milenas nach dem Tode Kafkas zusammen.
Gerne habe ich den Weg der historischen Person Milenas
begleitet, von der ich vor dem Lesen der Geschichte noch nie gehört hatte. Ihre
Entwicklung von einer selbstsicher auftretenden ungestümen jungen Frau hin zu
einer couragierten Übersetzerin, Schriftstellerin und engagierten Journalistin
fand ich ansprechend und ich war fasziniert von dem Umstand, dass ihr mir bis dato
unbekannter Briefwechsel mit Franz Kafka von tiefen gegenseitigen Gefühlen mit
ihm begleitet war. Daher empfehle ich gerne das „Milena und die Briefe der
Liebe“ von Stephanie Schuster an Leser historischer Romane weiter.