Rezension von Ingrid Eßer
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In ihrem Roman „Miss Bensons Reise“ erzählt die Engländerin
Rachel Joyce von dem großen Wunsch ihrer Protagonistin Margery Bensons, den
goldenen Käfer von Neukaledonien zu finden. Titel und Cover weisen darauf hin,
dass die Verwirklichung ihres Anliegens nicht im eigenen Land umsetzbar ist,
sondern ihr eine lange Fahrt mit dem Schiff bevorsteht. Aber sie begibt sich
nicht allein auf ihre große Reise. Die Frage, ob sie sich über ihre Begleitung
freuen oder eher verzweifeln soll, macht einen Teil des Romans aus und gibt ihm
einen besonderen Leseanreiz.
Margery war zehn Jahre alt, als ihre Familie die Nachricht
vom Tod der im ersten Weltkrieg gefallenen vier Brüder erhielt, woraufhin der
Vater sich erschoss. Just zu dieser Zeit beschäftigte er sich damit, den
goldenen Käfer zu finden. Fünf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist Margery Mitte
Vierzig, weiterhin alleinstehend, unterrichtet als Lehrerin und hat infolgedessen
wenig Mittel zur Verfügung. Nach einem alptraumhaften Morgen in der Schule
beschließt sie, sich nun endlich ihren Wunsch zu erfüllen und in Neukaledonien nach
dem Käfer zu suchen. Um vor Ort professionell zu wirken, benötigt sie eine Assistenz.
Eine Stellenanzeige hat wenig Resonanz. Margery gibt sich bei den
Bewerbungsgesprächen kultiviert und wählt schließlich Enid Pretty aus, eine
junge Frau, die in Vielem das Gegenteil von ihr selbst ist. Auch Enid hat einen
Traum, den sie sich erfüllen möchte. Aber sie verbirgt auch ein Geheimnis,
dessen Schatten den Weg bis nach Neukaledonien findet.
Rachel Joyce lässt in ihrem Roman ihrer Fantasie vielfach blühen
und bringt ihre Protagonistin in manche ungewöhnliche Situation. Sicherlich ist
das nicht immer realistisch, aber sehr unterhaltsam und oft amüsant. Sie
überdeckt damit die Sorgen und Probleme ihrer Figuren, die sie dennoch immer
wieder in den Blick des Lesers hebt und ihn dadurch auf ihre ganz eigene Weise
dazu auffordert, sich auch mit den weniger schönen Dingen und Ereignissen in
der Welt zu beschäftigen. Ihre Geschichte hat sie in die 1950er Jahre
eingebunden. Die britischen Konventionen und Werte der damaligen Zeit fließen
in die Handlung ein. Selbst im fernen Neukaledonien finden die
Lebensvorstellungen bei den im Land wohnenden Briten ihre Anwendung, wie
Margery und Enid erfahren müssen.
Durch ihre einfühlsame Beschreibung der handelnden Personen
gelingt ihr die Darstellung abwechslungsreicher Charaktere, die je ihr eigenes
Päckchen zu tragen haben, sich aber ihren weiteren Weg mit viel Mut, Zuversicht
und Hoffnung bahnen. Deutlich stellt sie heraus, wie viel es bedeutet, jemanden
an seiner Seite zu haben, der sich auch mal uneigennützig kümmert und auf den
man sich verlassen kann, auch wenn man nicht immer eine Meinung teilt. Eventuell
gelingt es sogar, dadurch seinen Horizont zu erweitern. Obwohl man seine
Vergangenheit nicht ändern kann, ist es möglich, sich und seine Ansichten zu
ändern und dadurch sein zukünftiges Leben zu beeinflussen.
Zahlreiche unerwartete Wendungen und eine mit vielen kreativen
dramatischen wie auch erfreulichen Ideen gespickte Geschichte, manchmal mit
einem Augenzwinkern erzählt, machen „Miss Bensons Reise“ von Rachel Joyce zu
einer großen Leseempfehlung für jeden.