Der Roman „Wilde Jahre“ von Astrid Ruppert ist der zweite
Band einer Trilogie über die Frauen der Familie Winter über vier Generationen hinweg.
Die etwa 30 Jahre alte Maya erzählt aus der Ich-Perspektive ihre Geschichte im
Jahr 2006 und 2007. Ihre Schilderungen werden unterbrochen von Kapiteln, bei
denen diesmal hauptsächlich ihre Mutter Paula im Fokus steht. Aber die Erzählugn
begleitet auch Mayas Oma Charlotte und deren Mutter Lisette. Der Rückblick auf
die Familiengeschichte beginnt 1949 und endet in den 1990ern.
Zu Beginn des Romans begegnete ich Paula, während sie im
Jahr 1977 ihre Neugeborene Tochter Maya betrachtet. In ihren Gedanken fragt sie
sich, welche Gefühle ihre Mutter damals hatte, als sie geboren wurde. Bereits
hier wird offensichtlich, dass sie ihre Tochter allein erziehen wird. In diesem
Zusammenhang denkt sie an Harry, den ich zu diesem frühen Zeitpunkt der
Geschichte weder vom Namen noch von der Person her zuordnen konnte.
Maya hat ihre Mutter immer nur als ruhelose Künstlerin
gekannt mit wechselnden Liebhabern. Sie selbst bevorzugt es, zu dem immer
gleichen Ort heimzukehren. Anders als Paula fühlt sie sich auf dem Land bei
ihrer Großmutter Charlotte sehr wohl und sie ruht nicht damit, Fragen nach
ihrer Herkunft zu stellen, denn sie kennt bis heute nicht ihren Vater. An ihrer
Seite machte ich mich auf, Antworten zu suchen, die ich im Laufe des Romans
gefunden habe.
Bei ihren liebenswerten Protagonistinnen arbeitet Astrid
Ruppert deutlich spürbar deren Gegensätzlichkeiten heraus. Lisette, die im
gutsituierten städtischen Bürgertum aufwuchs, ist ihrem Drang nach Freiheit
nachgegangen. Sie hat sich dabei nicht den Wünschen ihrer Eltern gebeugt, die
für sie ein Leben als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Ehepartners aus
der gehobenen Gesellschaftsklasse vorgesehen hatten. Ihre Tochter Charlotte hat
sich mit einem Landwirt verehelicht, gemeinsam führen sie den elterlichen Hof
des Ehemanns. Ihr Leben ist geprägt von jahreszeitlichen Arbeiten und Routine.
Auf dem Dorf kennt jeder jeden und daher hat Charlotte auch auf
den Ruf der Familie zu achten. Paula ist das egal. Sie fühlt sich als
Jugendliche fremdbestimmt und eingeengt. Schon früh begehrt sie auf. Immer
klarer wird es für sie, dass sie nicht den Hof übernehmen möchte, sondern ihr
Leben angefüllt sein soll von Musik. Ich konnte ihre Handlungen sehr gut
nachvollziehen, weil sich in meiner Familie, obwohl zeitlich gesehen ein paar
Jahre später, Ähnliches ereignet hat. Immer wieder fällt auf, wie sehr die
Frauen in ihrer Selbständigkeit durch die geltenden Ehegesetze bis in die
1970er Jahre hinein eingeschränkt waren.
Maya ist den Trends ihrer Zeit zugeneigt. Ihr fällt das
Schweigen zwischen den Generationen in ihrer Familie auf. Erst als sie auf
eigenen Antrieb hin und ohne das Wissen ihrer Mutter, sich auf die Spur der
jungen Paula begibt, setzt sie wie ein Puzzle die Antworten zu einem Gesamtbild
zusammen, zu dem aber noch die Hintergründe über eine Zeit im Leben von
Charlotte fehlen, die Thema des abschließenden dritten Teils der Winterfrauen-Reihe
sein werden. Die Einsicht, die Vergangenheit zu kennen, aber ruhen zu lassen hat
zwischen Maya, Paula und Charlotte das Verständnis untereinander gefördert. Sicher
kann diese Feststellung auch in anderen Familien zu einer Annäherung der
Generationen beitragen, denn Familie bietet oft Rückhalt und Geborgenheit, auf
die auch die Frauen der Familie Winter gerne zurückgreifen.
Lisette hat ihrer Enkelin vermittelt, dass sie versuchen
soll, das zu erreichen, was sie will, auch wenn nicht alles gelingt. Als Leser
des Romans „Wilde Jahre“ von Astrid Ruppert brachte mich das zum Nachdenken.
Überzeugende Figuren, bewegende Handlungen und eine realitätsnahe Darstellung
prägen die Geschichte und ich bin schon sehr neugierig darauf, warum Lisettes
Tochter Charlotte einen ganz anderen Weg wie ihre Mutter eingeschlagen hat.
Darum freue ich mich schon auf den dritten Band der Serie und empfehle das Buch
gerne weiter.