Rezension von Ingrid Eßer
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Der Roman „Der Tausch – Zwei Frauen, zwei Tickets, ein
Ausweg“ der US-Amerikanerin Julie Clark ist eine hochspannende und gefühlvoll
erzählte Geschichte von Claire und Eva, die ihre Identität miteinander
tauschen. Das Cover zeigt den Blick aus einem Flugzeugfenster und symbolisiert
dadurch, dass die beiden Frauen den Wechsel am Flughafen, kurz vor ihrem Einchecken
zu ihrem jeweiligen Flug ausführen. Claire und Eva sind sich bewusst, dass es dadurch
kein Zurück in ihr altes Leben ohne eine tödliche Bedrohung für sie geben wird.
Claires Ehemann Rory gehört zu einer erfolgreichen
einflussreichen Politikerdynastie und führt die bisher geleistete Arbeit der
Familie fort. Von der Kunstgeschichtlerin Claire wird erwartet, dass sie
Repräsentationsaufgaben übernimmt. Um seine Ansichten durchzusetzen, wird Rory
Claire gegenüber zunehmend gewalttätiger. Daher hat sie viele Wochen dazu
benötigt, den perfekten Zeitpunkt abzupassen, um aus ihrem Leben zu fliehen. In
letzter Minute führt eine Änderung bei der Übernahme von Verpflichtungen durch
Rory dazu, dass ihr Plan auffliegt. Spontan ergibt sich stattdessen am
Flughafen eine andere Möglichkeit, als sie dort auf Eva trifft, die ihr davon
erzählt, dass sie sich mit Fragen zu Ungereimtheiten zum Tod ihres Manns auseinanderzusetzen
habe und sie am liebsten an einen anderen Ort fliehen möchte. Ein Tausch der
Bordkarten könnte für beide die Chance auf einen Neuanfang bedeuten. Allerdings
hat Eva ihr nicht die Wahrheit erzählt.
Für beide Frauen ist es beängstigend, dass sie an einem
Punkt stehen, an dem ihnen ein selbstbestimmtes Leben nicht mehr möglich
erscheint. Denn durch ihr Umfeld werden sie auf eine je eigene Weise von
anderen Personen fremdgesteuert, die Erwartungen an sie stellen. Die vermuteten
Sanktionen bei Nichterfüllung der Ansprüche flössen ihnen Furcht ein. Es wird
deutlich, dass Verschwinden zwar eine Option ist, aber sehr schwierig. Julie
Clark versteht es, von Beginn an Spannung aufzubauen. Der Titel des Prologs
weist darauf hin, dass die Handlung am Tag des Absturzes stattfindet. Für mich
passte diese Angabe zunächst nicht zur Inhaltsangabe und allein durch die
Überschrift war ich auf das Schlimmste gefasst, was mich auch schnell
weiterlesen ließ.
Die Autorin lässt Claire als Ich-Erzählerin auftreten. Sie
blickt zurück bis auf ihre Kindheit und die Anfänge ihrer Liebe zu Rory. Durch
ihre Schilderungen konnte ich gut den Wandel in der Beziehung der Eheleute nachvollziehen
und Claires zunehmende Angst. Evas Leben wird von Julie Clark als allwissende
Erzählerin beschrieben. Auch hier wird deutlich, warum Evas Eigenständigkeit
zunehmend eingeschränkt ist und sie keinen anderen Ausweg mehr sieht, als ihre
Identität zurück zu lassen.
Sowohl Claire als auch Eva lassen sich zwar einschüchtern,
doch sie geben nicht auf, nach einer Lösung zu suchen. Während die Geschichte
sich anhand der Schilderungen von Claire ständig in die Zukunft entwickelt,
wird Evas Leben im Rückblick erzählt. Dadurch bleibt ein bestimmtes Detail bis
zum Schluss offen und steigert zusätzlich die Spannung des Romans, die allein
schon durch die Frage hoch ist und bleibt, ob die beiden Frauen in ihrem neuen
Leben sich zurechtfinden werden.
„Der Tausch“ von Julie Clark ist ein geschickt konstruierter
Roman, der mich bis zum Ende, das nochmal mit einer unerwarteten Wendung
glänzt, ganz in seinen Bann gezogen hat und den ich daher sehr gerne
uneingeschränkt empfehle.