Rezension von Ingrid Eßer
In ihrem Roman „Junge Frau, am
Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ schildert die in Berlin lebende
Alena Schröder eine Familiengeschichte über vier Generationen hinweg. Die
Erzählung spielt in der Gegenwart in der Bundeshauptstadt und nimmt die
27-jährige Doktorandin Hannah und ihre fast hundertjährige Großmutter Evelyn in
den Fokus. In weiteren Kapiteln erfolgt ein Rückblick bis in die 1920er auf die
Familiengeschichte. Der Titel nimmt Bezug auf ein verschollenes Bild aus dem
Vermögen des im Zweiten Weltkrieg enteigneten jüdischen Kunsthändlers Goldmann,
dessen einzige Erbin Evelyn ist, die sich diesem Umstand aber nicht stellen
möchte und auf ihre ganz eigene Art damit ihre Enkelin betraut.
In der Generationengeschichte
kommt auch Senta eine bedeutende Rolle zu, denn sie ist die Mutter von Evelyn.
Sie wächst in den 1910er Jahren am Rand von Rostock auf und träumt davon, den
Verlockungen Berlins zu folgen. Doch dann trifft sie Ulrich, den Kriegshelden,
der Geschichten vom Fliegen erzählt. Bald wird sie schwanger und nach der
Heirat immer unzufriedener. Sie lässt sich scheiden und erfüllt sich doch noch
ihren Traum von Berlin. In der Hauptstadt erfährt sie an der Seite ihres
jüdischen Ehemanns die zunehmenden Repressalien gegen die
Religionsgemeinschaft. Silvia vervollständigt schließlich noch die Stammlinie
als Tochter von Evelyn und Mutter von Hannah.
Es sind starke Frauenfiguren, authentisch
und vielfältig, die Alena Schröder in ihrem Roman zeichnet, mit eigenen
Vorstellungen vom Leben und einem enormen Willen, diese Vorstellungen zu
verwirklichen. Das Verständnis von Generation zu Generation ist dadurch teils
gestört, es kommt zu Brüchen, aber auch zu Annäherungen. Und obwohl manchmal
große Weiten zwischen den Aufenthaltsorten liegen und auch die innere
Verbundenheit nur ein loser Faden ist, gerät man einander nie vollständig in
Vergessenheit. Auch wenn sich Senta, Evelyn und Silvia im Nachhinein nicht für
gute Mütter halten, hat jede auf ihre Weise eine Möglichkeit gefunden, dem
Nachwuchs eine vernünftige Perspektive für die Zukunft zu schaffen, die
Freiraum zur Entfaltung der Persönlichkeit bietet.
Zwischen Gegenwart und
Vergangenheit schildert die Autorin eine unterhaltsame Geschichte, die nie
stillsteht und die sie bewusst so führt, dass immer eine gewisse unterschwellige
Spannung auf den Fortgang bestehen bleibt. Raubkunst als Thema im Hintergrund
fand ich ungewöhnlich, aber eine interessante Idee, über dessen Aufspüren ich
durch die Erzählung gerne mehr erfahren habe.
Mit „Junge Frau, am Fenster
stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ hat Alena Schröder einen bewegenden und
fesselnden, abwechslungsreichen Roman geschrieben, der mit einem unverbrauchten
Hintergrundthema und faszinierenden Frauenfiguren aufwartet. Ich habe das Buch
sehr gerne gelesen und empfehle es daher uneingeschränkt weiter.