Rezension von Ingrid Eßer
weitere Titel der Autorin auf Buchsichten:
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In den Fokus ihres historischen Romans „Die verstummte Liebe“
stellt Melanie Metzenthin die Engländerin Helen Mandeville, die den Lesern
ihres Buchs „Im Lautlosen“ als Mutter der Figur Fritz Ellerweg schon bekannt
ist. In der zuletzt genannten Geschichte kommt Helen nur eine Nebenrolle zu und
dem Leser wird dabei nur wenig bekannt, denn sie hat ihre in Hamburg wohnende kleine
Familie Richtung England verlassen, als Fritz zwölf Jahre alt war, worauf der
Titel Bezug nimmt.
Im November 1945 steht Helen mit ihren inzwischen
erwachsenen Kindern Thomas und Ellinor am Grab ihres Ehemann James, einem
angesehenen englischen Anwalt. Nach dem Leichenschmaus, den Helen frühzeitig
verlässt, spricht sie in einem vertrauten Gespräch mit ihrer Tochter abwertend
über James. Ellinor möchte wissen, warum er ihren offensichtlichen Zorn und
Unwillen auf sich zog. Bei der Beantwortung der Frage gehen Helens Gedanken
zurück zum Jahr 1896 zu einem Tag, an dem sie als Siebzehnjährige den fünf
Jahre älteren James kennen lernte, in der weiteren Entwicklung die Frau des
Hamburger Arztes Ellerweg wurde und mit ihm den Sohn Fritz bekam. Für Ellinor
ändert sich durch die Erzählung gänzlich ihre Meinung über ihre Eltern.
Der Roman „Die verstummte Liebe“ ist unabhängig von der
Kenntnis des Buchs „Im Lautlosen“ lesbar. Aber es ist abzusehen, dass man nach
dem Lesen mehr über Fritz und sein Leben in Deutschland erfahren möchte.
Melanie Metzenthin greift mit ihrer Geschichte über Helen die Konventionen der
damaligen Zeit auf, deren Beachtung von den Mitgliedern der gehobenen
englischen Gesellschaft zur Wende ins 20. Jahrhundert und später erwartet wurde.
Helens Vater stellt an die Protagonistin aufgrund schicksalhafter Entwicklungen
die Forderung, einen Mann fürs Leben zu ehelichen, der die Familiengeschäfte
weiterführt. Er setzt nicht auf Liebe, sondern auf Helens Verstand und daher
erhält sie die besten Hauslehrer zur Förderung ihres Intellekts. Aber erste
Verbindungen zu Frauenrechtlerinnen wecken in ihr den Widerstand gegen die
väterliche Ordnung. Nicht nur Helen ist eine Figur im Roman, deren Handlungen
nicht absehbar sind und die ihre Meinung im Laufe der Zeit ändert.
Die Autorin hat den Roman gekonnt in den entsprechenden
historischen Kontext gesetzt. Dank bester Recherche mit fundierten Hintergründen
wirkt die Geschichte realistisch und denkbar. Melanie Metzenthin bringt in der
Schilderung und Behandlung bestimmter psychischer Krankheiten ihr Wissen ein
als Psychiaterin und Psychotherapeutin. Behutsam, aber fundiert widmet sie sich
dem Thema Schuldgefühle.
„Die verstummte Liebe“ ist ein bewegender, abwechslungsreich
erzählter und unterhaltsamer Roman über eine Engländerin, die zu Beginn des Ersten
Weltkriegs ungewollt zwischen die Fronten ihres Geburtslands und ihrer neuen
Heimat Deutschland steht, mit weitreichenden Konsequenzen für ihre Zukunft.
Gerne empfehle ich das Buch uneingeschränkt weiter.