Rezension von Ingrid Eßer
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Der Roman „Hard Land“ von Benedikt Wells beginnt mit zwei
Feststellungen, die nicht nur neugierig auf die vorliegende Geschichte machen,
sondern gleich zeigen, dass der Protagonist sich mit sehr gegensätzlichen
Gefühlen in jenem einen besonders erinnerungswürdigen Sommer seiner Jugend
auseinander zu setzen hat: er wird sich verlieben und er wird seine Mutter
verlieren. Dabei bleibt die Beziehung zu ihr und die mit ihrem Verlust
verbundenen Empfindungen anfangs noch offen und riefen eine gewisse Erwartung
an die Erzählung bei mir hervor. Der Titel bezieht sich auf einen
preisgekrönten Gedichtzyklus des fiktiven Lyrikers William Morris. In dem von
Benedikt Wells geschriebenen Text nimmt er Bezug auf die harte Arbeit, die der
eigene Grund und Boden dem Besitzer abverlangt, ein Leben lang, über die
Jahreszeiten und Jahre hinweg.
Der fünfzehnjährige Sam wohnt im Jahr 1985 mit seinen Eltern
in einem kleinen Ort in Missouri. Seine ältere Schwester Jean lebt seit einigen
Jahren an der Westküste der USA, sein bester Freund ist mit seiner Familie vor
Kurzem weggezogen und der Kontakt nahezu abgebrochen. Sams Vater ist
arbeitslos, seine Mutter arbeitet trotz ihrer schweren Krankheit in ihrer
eigenen Buchhandlung. Eigentlich soll er den Sommer bei Verwandten in Kansas
verbringen, doch ein Aushang am Kino bringt ihn auf die Idee, dort auszuhelfen.
Hier begegnet er der Tochter des Besitzers und zwei beliebten älteren Jungen,
die er von der Schule kennt und die ebenfalls dort angestellt sind. Mit ihnen
und durch sie wird der Sommer unvergleichbar und unvergesslich.
Ich finde es mutig von Benedict Wells, eine
Coming-of-Age-Geschichte zu schreiben, die nicht dort spielt, wo er selbst
aufgewachsen ist und die in einer Zeit spielt, die er selbst nicht als Teenager erlebt hat.
Dennoch meistert er diese Hürden mit Bravour. Dank seines hohen
Einfühlungsvermögens versetzt er sich gekonnt an Ort und Zeit und vermittelte mir
auf diese Weise Bilder und Gefühle, die ich nachvollziehen konnte. Auch ich
habe in eben jener Zeit einen unvergessenen Sommer an der Seite von Freunden
erlebt und kann auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen. Die Beschreibungen des Autors haben mich erreicht und die Empfindungen von Sam stellten sich für
mich als authentisch dar.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, die Sam in jenem Sommer
1985 erlebt hat. Sam wird bewusst, dass er seine Schüchternheit überwinden
muss, damit er nicht zur Verwandtschaft geschickt wird, die er aus bestimmten
Gründen meiden möchte, wie seine Eltern es für ihn vorsehen. Seine
Eigeninitiative ist der erste Schritt zur Selbstverwirklichung und
Selbstbewusstsein. Verbunden ist dieser Schritt mit Freude und Leid, mit Lachen
und Weinen. Es gibt viele nie erlebte Situationen, neue Eindrücke für ihn, die
man gar nicht schnell genug verarbeiten kann und die sich zu einem ganz neuen
Lebensgefühl steigern, bei dem die Welt einen kleinen Moment still zu stehen
scheint, in dem aber andernorts sich die Erde weiterdreht und für Ereignisse
sorgt, bei denen man später vielleicht bedauert, anwesend gewesen zu sein …
Benedict Wells hat mit „Hard Land“ einen Roman geschrieben,
bei dem man die Sommerhitze knistern spürt und die Musik der 1980er vibriert.
Mit seinem empathischen Schreibstil hat der Autor eine bewegende
Coming-of-Age-Geschichte verfasst, die zeigt, wie man durch Freundschaft zu
sich selbst finden und emotional reifen kann. Gerne vergebe ich hierzu eine
Leseempfehlung.