Rezension von Ingrid Eßer
Der US-Amerikaner T.C. Boyle widmet sich in seinem Roman
„Sprich mit mir“ dem Verhältnis von Menschen zu Menschenaffen, genauer gesagt
zu Schimpansen. Der Titel des Buchs entspricht der Aufforderung zur
Kommunikation im Rahmen der Möglichkeiten der Tiere. Während es in den 1940er
Jahren einen Versuch gab, einer Schimpansin Englisch beizubringen, basiert die
Geschichte von T.C. Boyle auf entsprechenden Experimenten in den 1970ern zur
Verständigung durch Gebärdensprache.
Der 32-jährige Guy Schermerhorn ist Professor für
vergleichende Psychologie an einer kalifornischen Universität. Im Rahmen einer
Studie an einer Hochschule in Iowa zum eventuell möglichen Spracherwerb bei
Primaten wurde ihm der Schimpanse Sam überlassen. Aimee Villard, Studentin der
Frühpädagogik, bewirbt sich im Jahr 1978 bei ihm als Hilfskraft zur Pflege von
Sam. Schon bald fasst Sam Vertrauen zu ihr. Unter der Anleitung von Guy und
Aimee macht Sam große Fortschritte und wird zunehmend menschlicher. Seine
natürlichen Instinkte suchen sich aber immer wieder ihren Weg.
Im zeitlichen Ablauf wird es schwieriger, Forschungsgelder
zu erhalten und eines Tages wird Sam vom Leiter des Forschungsprogramms aus
Iowa zurückgefordert, um ihn wirtschaftlich besser nutzen zu können. Vor allem
Aimee kann sich damit nicht abfinden und sucht auf ihre eigene Weise nach einer
Lösung, um Sam nicht nur in ihrer Nähe zu haben, sondern auch weiter mit ihm arbeiten
zu können.
T.C. Boyle wirft in seinem Roman unter anderem das ethische
Problem auf, welche Eigenschaften untrennbar mit dem Bewusstsein verknüpft
sind, damit sie uns Menschen so einmalig machen, um über andere Lebewesen zu
richten. Es ist aber zu bedenken, dass wir vielleicht gar nicht so besonders
sind. Wenn wir die Möglichkeit hätten, uns mit Primaten zu verständigen,
könnten diese uns ihre Gefühle mitteilen und wir würden erkennen, dass sie in
der Lage sind ihre Schlüsse aus Situationen zu ziehen und zu bluffen. Spinnt
man den Gedanken weiter, ist zu überlegen, welches Potential sich uns Menschen
dadurch bieten könnte, wenn wir erfahren, was Primaten im Allgemeinen
beschäftigt und welches Urwissen sie mit sich tragen.
Mit Guy und Aimee schafft der Autor gegensätzliche
Charaktere im Umgang mit dem Sprachexperiment und bietet dadurch auch zwei unterschiedliche
Ansichten über Sinn und Zweck von Forschung. Sicherlich hat Guy eine enge
Beziehung zu Sam aufgebaut, aber es geht ihm auch darum, sich durch die Studien
berufliche Anerkennung zu verschaffen. Dadurch macht er sich abhängig von
Finanzgebern und fügt sich den Gegebenheiten. Aimee widmet sich ihrer Aufgaben
mit Leidenschaft und entwickelt zu Sam eine nahezu mütterliche Liebe. Ihre
Beurteilung in bestimmten Situationen ist manchmal arglos, dem von ihr
gesetzten Ziel ordnet sie ihr Leben unter und widmet ihm ihre ganze Kraft.
Die Kapitel wechseln ab zwischen solchen, bei denen Aimee
und Guy in ihrer Beziehung zu Sam im Vordergrund stehen und anderen, bei denen
der Autor die potentiellen Gedanken des Schimpansen beschreibt. Die beiden
Sichtweisen sind zeitversetzt, wobei die Wiedergabe des Denkens von Sam zunächst
Fragen aufwirft und äußerst beunruhigend ist.
Beim Lesen des Romans „Sprich mit mir“ von T.C. Boyle
entwickelte sich bei mir ein Lesesog, der sich aufgrund der faszinierenden
Darstellung der Handlung mit dem Hintergrundthema zum Bewusstsein und der damit
verbundenen Persönlichkeit ergeben hat. Die Geschichte überrascht mit einigen
Wendungen und bleibt dadurch, obwohl sie wahre Geschehnisse beinhaltet,
unvorhersehbar. Gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.