Rezension von Ingrid Eßer
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Der Titel des Romans „Das Fräulein mit dem karierten Koffer“
von Claudia Kaufmann nimmt Bezug auf Sabine, eine der Protagonistinnen der
Geschichte, die mehrmals in ihrem Leben in einem eben solchen Koffer ihre
Habseligkeiten eingepackt und damit zu neuen Ufern aufgebrochen ist. Der
Hintergrund des Covers zeigt den Marienplatz in München, denn die Erzählung
spielt in der bayrischen Landeshauptstadt. Während in den 1960ern die
Emanzipation fortschreitet, sind in einigen bedeutenderen beruflichen
Positionen noch Bürger mit früherer nationalsozialistischer Gesinnung zu
finden. Für die nachfolgende Generation ist eine Aufarbeitung, auch im privaten
Umfeld zwar schwierig, aber wichtig.
Sabine ist 19 Jahre alt im für sie schicksalhaften Jahr
1964. Ihre Mutter Brigitte ist verwitwet und hat mit Heinz einen neuen Ehemann
gefunden. Weil Sabine noch nicht volljährig ist, hat Brigitte bestimmt, dass
sie keine eigene Wohnung haben darf, doch das Verhältnis zu Heinz ist getrübt.
Sie verliebt sich in den Sohn einer angesehenen betuchten Familie und wird schon
bald sie von ihm schwanger. Ihre Hoffnung, dass der Vater des erwarteten Kinds
sie heiraten wird, zerschlägt sich recht schnell. Sie verlässt ihre Mutter im
Streit. Auf sich allein gestellt bringt sie ihre Tochter Andrea zur Welt und
kämpft darum, dass sie ihr Kind selbst erziehen darf.
Claudia Kaufmann stellt in ihrem Roman mit dem Kampf der
Frauen für ihre Rechte ein wichtiges Thema im in den Mittelpunkt. Sie zeigt die
Ohnmacht der weiblichen Singles in den 1960ern, wenn es darum ging, die
Erziehung ihres Kinds selbst zu übernehmen. Vom Jugendamt wurde ihnen nach
Nichtehelichenrecht ein Vormund zugewiesen, der seine eigenen Ansichten zum
richtigen Umgang mit dem Nachwuchs kundtun konnte, eine Alternative war die
Heimunterbringung des Minderjährigen. Die Autorin beschreibt im Hintergrund
ihrer Geschichte die Entwicklung der Rechtslage. Gut nachvollziehbar arbeitet
sie im weiteren Verlauf ihrer Schilderung auch die Vor- und Nachteile einer
strengeren im Gegensatz zu einer eher antiautoritären Erziehung heraus.
Im Fokus steht zwar Sabine aber auch ihre Mutter Brigitte
und ihre Tochter Andrea stehen beispielhaft für viele Frauen ihrer jeweiligen
Zeit. Jede der Frauen beansprucht für sich, dass Richtige wohlüberlegt für den
Nachwuchs getan zu haben. Sabine ist zu Beginn der Geschichte stark geprägt von
ihrem Elternhaus und hat oft für die Handlungen ihrer Mutter kein Verständnis.
Brigitte ist in der Lebenseinstellung aufgewachsen, dass Liebe für eine Ehe nicht
unbedingt wichtig ist, sondern gewisse Kompromisse dabei zum Erfolg führen.
Durch den Kampf für ihre Rechte wird aus Sabine eine selbständige, mutige Frau
und dennoch haben sich einige Ansichten aus ihrer Jugend so verfestigt, dass
sie nachwirken. Andrea profitiert von der Erziehungshaltung ihrer Mutter,
findet darin aber auch Kritikpunkte.
Claudia Kaufmann erzählt im Roman „Das Fräulein mit dem
karierten Koffer“ eine schicksalsschwere, aber herzerwärmende Geschichte über
eine junge Frau in den 1960ern, die als Alleinerziehende für sich und die
Rechte ihrer Tochter kämpft. Die Autorin schont dabei ihre Protagonistin nicht.
Ich war von der Erzählung gefesselt und fand sie unterhaltsam, aber auch
berührend. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.