Hardcover: 624 Seiten
Im Sommer 2018 verspürt der Schriftsteller Joël Dicker nach einer gescheiterten Liaison das Bedürfnis, zu verreisen. Er bucht ein Zimmer im Palace de Verbier, einem noblen Hotel in den Schweizer Alpen. Dort wird er im Zimmer 623 einquartiert und wundert sich darüber, dass daneben die Zimmer 621 und 621a liegen, die 622 aber fehlt. Das weckt auch die Neugier von Scarlett Leonas, die aus London angereist ist und im Zimmer 621a residiert. Die beiden begeben sich auf eine Spurensuche, die Joël dazu inspiriert, einen neuen Roman zu beginnen.
Bei ihren Recherchen stoßen sie auf die Geschichte von Macaire Ebezner, dessen Vater bis zu seinem Tod der Präsident der rennomierten Ebezner-Bank war. Nun hofft Macaire, von den drei verbleibenden Ratsmitgliedern zum nächsten Präsidenten gewählt zu werden. Das soll während des „Großen Wochenendes“ passieren, dem jährlichen Betriebsausflug der Bank ins Palace de Verbier. Doch seine Wahl scheint plötzlich nicht mehr sicher. Sinior Tarnogol will Macaires Kollegen aus der Vermögensverwaltung, Lew Lewowitsch, wählen. Macaire ist wild entschlossen, Tarnogol umzustimmen und seine Wahl zu sichern. Doch warum hat Macaire vor fünfzehn Jahren überhaupt seine Anteile an Sinior Tarnogol verkauft, der seither an seiner statt im Rat sitzt?
Der vierte in Deutschland erschienene Roman von Joël Dicker ist eine Autofiktion, denn der Autor macht sich diesmal selbst zum Ich-Erzähler der Geschichte. Dieser berichtet, wie er 2018 bei einer Reise ins Palace de Verbier auf einen mysteriösen Mordfall gestoßen ist, der ihn zu seinem neuen Roman inspiriert hat - dem Roman, den der Leser in der Hand hält. Dabei wirkte er auf mich ein wenig selbstverliebt, denn immer wieder erwähnt er, dass ihn alle nur mit „der Schriftsteller“ anreden. Das Buch kehrt immer wieder zu diesem Rahmenhandlung zurück, der größere Teil der über 600 Seiten ist jedoch den Rückblicken in die Vergangenheit gewidmet, in denen die Ereignisse rund um den Mord in Zimmer 622 erzählt werden.
Der Autor nimmt sich Zeit, dem Leser Macaire Ebezner, dessen Frau Anastasia, Lew Lewowitsch und die Ratsmitglieder der Ebezner-Bank vorzustellen. Macaire, der seine Wahl zum nächsten Präsidenten der Band für sicher hielt, schmiedet zunehmend komplexere Pläne, um die einzelnen Ratsmitlieder von sich zu überzeugen. Das Buch lässt sich zügig lesen, doch das ganze Hin und Her zog sich für mich zunehmend in die Länge. Erst auf Seite 412 von 617 kommt die Geschichte endlich beim Mord an.
Das Buch zieht seine Spannung vor allem daraus, dass zentrale Informationen sehr lange bewusst zurückgehalten werden. Zum Beispiel: Wer ist in Zimmer 622 überhaupt gestorben? Wer ist heute der Präsident der Ebezner-Bank? Diese und weitere Informationen sind dem Ich-Erzähler bekannt oder er könnte sie im Nu recherchieren. Auch die Frage, warum Macaire Ebezner seine Anteile damals an Sinior Tarnogol verkauft hat, wird ständig gestellt und erst sehr spät beantwortet. Die Auflösung fand ich nicht sonderlich plausibel, aber ohne dieses Ereignis hätte die Wahl zum Präsidenten ja gar nicht zur Debatte gestanden.
Im letzten Drittel des Buches werden nach und nach die Geheimnisse rund um den Mord enthüllt. Einige hatte ich aufgrund der vielen Hinweise bereits entschlüsselt, doch es gibt so viele Enthüllungen, dass ich trotzdem überrascht wurde. Leider muss ich sagen: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das so etwas tatsächlich funktionieren könnte. Für mich ist „Das Geheimnis von Zimmer 622“ deshalb leider das bislang schwächste Buch des Autors.