Autorin: Ljuba Arnautovic
Im Roman „Junischnee“ erzählt die in Wien lebende Autorin
Ljuba Arnautovic ihre Familiengeschichte weiter, die sie in ihrem Debüt „Im
Verborgenen“ begonnen hat. Das Lesen des vorliegenden Buchs ist problemlos ohne
Vorkenntnisse möglich. Den größten Teil der Erzählung ist dem Leben von Karl,
dem Vater der Autorin gewidmet. Doch der Titel führt die Leser in Richtung der
Mutter Nina, für die nach altem Brauch ein Bäumchen zur Geburt gepflanzt wird.
Aus Versehen wählt der Vater aber eine Pappel statt einer Birke. Ohne feste
Wurzeln und wie der Schnee der Pappeln im Juni mit dem Wind verweht scheint es
für Nina vorherbestimmt, dass sie ihre Heimat verlassen wird.
Karl wird von seiner Mutter Eva gemeinsam mit seinem älteren
Bruder und weiteren Kindern dem Republikanischen Schutzbund anvertraut, der die
Kinder in ein Ferienlager auf der Krim bringt und später in ein Kinderheim. Was
zunächst mit Freude und Glück verbunden ist, wird zu Leid und Überlebenskampf
für Karl als Straßenkind, in der Besserungsanstalt und im Arbeitslager. Er
heiratet Nina, die er im Gulag kennengelernt hat und die ihm nach seiner
Entlassung einen Wohnort bietet. Sie folgt ihm nach Wien und leidet dort unter
heftigem Heimweh. Inzwischen hat das Paar zwei Kinder und zwischen den Eltern
der Autorin entspinnt sich ein Kampf auf einer neuen Ebene.
Ljuba Arnautovic wählt für ihre Schilderungen eine nüchterne
Sprache. Sie ordnet die Begebenheiten in deren jeweiliges Umfeld ein. Beim
Lesen sollte man sich verdeutlichen, dass das, was sie schreibt, wirklich
geschehen ist. Geschichtlich fundiert, aber ohne lange Hintergrunderklärungen
einzuflechten, weiß sie geschickt die für ihre Eltern wesentlichen,
wegweisenden Ereignisse im Leben zu skizzieren. Ohne Schlenker, im Präsens zur
Vergegenwärtigung, nimmt der Roman den Leser mit in eine grauenvolle Zeit, in
der die Handlung des Einzelnen der Ideologie entsprechend zu sein hatte. Die
Autorin verdeutlicht, dass ein Aufbegehren zu weitreichenden Konsequenzen führte.
Ljuba Arnautovic wirft in ihrem Buch „Junischnee“ kritische Fragen zum Verhalten ihrer Vorfahren auf. Sie beschreibt neben den Jahren in der Sowjetunion auch die Begebenheiten nach der Rückkehr ihrer Eltern nach Wien und der dann folgenden Ehekrise klar und ungeschminkt. Mit viel Respekt stellt sie die Entscheidungen ihres Vaters, auch in Bezug auf ihre Schwester und sich selbst dar. Ihre Erzählung ist bewegend und erschütternd und lässt daran denken, zu welchen Folgen extreme Gesinnungen führen und möglich sind. Die Geschichte hallt nach und sollte viele Leser finden.