Rezension von Ingrid Eßer
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In ihrem Roman „Klaras Schweigen“ stellt Bettina Storks
Miriam und ihre Großmutter Klara in den Mittelpunkt. Ein Teil der Handlung
spielt in Freiburg im Breisgau im Jahr 2015, aber die Recherchen Miriams zur
Aufarbeitung der Familiengeschichte und die Erinnerungen von Klara führten mich
als Leserin in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs über die die betagte Klara
bisher geschwiegen hat. Das Cover entspricht einem Foto aus der damaligen Zeit,
welches Miriam im Album ihrer Oma findet. Klaras Blick darauf, abgewandt vom
Betrachter, scheint sich in eine hoffnungsvolle Zukunft zu richten.
Nach einem Schlaganfall, von dem Klara mitten in einem
Telefonat mit ihrer Enkelin getroffen wurde, ist ihr Sprachvermögen stark
eingeschränkt. Bei einem Besuch im Krankenhaus spricht Klara erste Worte in
Französisch, was Miriam sehr wundert. Außerdem erhält sie von ihrer Großmutter
bei der Gelegenheit eine alte Taschenuhr mit Gravur in französischer Sprache.
Auch Miriams Großtante, die jüngere Schwester von Klara, kann zu den
Merkwürdigkeiten keine Auskunft geben. Bald schon wird Miriam klar, dass ihre
Großmutter Geheimnisse vor ihr hat, die lange zurückreichen bis zur Besatzung
Freiburgs nach dem Zweiten Weltkrieg durch das französische Militär.
Die Geschichte entwickelt sich zügig, beginnend mit der
Bombennacht auf Freiburg im November 1944, die Klara als Jugendliche im Keller
des Mehrfamilienhauses erlebt, in dem die Familie wohnt und auf diese Weise verdeutlicht,
welche Ängsten sie damals wie viele andere gehabt hat. Nach dem Besuch bei
ihrer Großmutter beginnt Miriam über die Vergangenheit Klaras Fragen zu stellen
und kommt schnell dabei an die Grenzen des verfügbaren Wissens in der Familie.
Doch sie gibt nicht auf und es sind kleinste Details, die sie tief in die
Familiengeschichte hineinführen nach Konstanz, wo ihre Großmutter eine Weile
gelebt hat und schließlich bis in die Bretagne.
Bettina Storks schildert mit sehr viel Einfühlungsvermögen
eine Kindheit und Jugend von Klara mit einem strengen Vater, der es versteht, seine
Prinzipien durchzusetzen. Sie zeigt die Ohnmacht Klaras, sich dem Vater in
bestimmten Punkten zu widersetzen, aber auch ihre klare Vorstellung einer Zukunft
und ihr Selbstbewusstsein an ihren Wünschen festzuhalten sowie das Bestreben
danach, sie zu verwirklichen. Die Autorin verdeutlicht, welchen Gesetzen und
Konventionen Frauen früher ausgesetzt waren und welche Auswirkungen ihr Tun auf
ihr Bild und das ihrer Familie in der Öffentlichkeit hatten. Es war eine
schwierige Zeit, Lebensmittel und Heizstoff fehlten noch immer. Das Verhältnis
der französischen Besatzer zur deutschen Bevölkerung unterlag einem
Fraternisierungsverbot, so dass Freundschaften von Beginn an unterbunden
wurden.
Bis hierher ist die Erzählung bereits dramatisch, manchmal sind
Geschehnisse auch absehbar, doch es wurde noch nicht ganz deutlich, warum Klara
über eine bestimmte Zeit bisher geschwiegen hat. Zusammenhänge und das
Begreifen der Verwicklungen dazu ergeben sich für Miriam erst im Laufe der
Geschichte. Es ist aber längst noch nicht das Ende der Geheimnisse, denn
allmählich begreift sie, dass sie bisher nie erfuhr, was sich in der Nacht, als
ihre Eltern tödlich verunglückten, zugetragen hat.
Es ist ein langer Weg den Klara und Miriam gemeinsam im
Austausch auf der Suche nach Verständnis und Verstehen gehen müssen, angefüllt
mit großen Emotionen, Enttäuschungen, Erkenntnissen, mit Freude, Leid und
Hoffnung. Beide Charaktere sind gut ausformuliert. Für jede ihrer Figuren zeigt
die Autorin Wege zum Verständnis von deren Handlungen auf, auch wenn einige
eher unsympathisch bleiben.
Bettina Storks verbindet in ihrem Roman „Klaras Schweigen“ eine
Sprachstörung der Großmutter Klara mit einer Chance für ihre Enkelin Miriam,
sich mit der Familiengeschichte zu beschäftigen. Sie schreibt mit viel Gefühl
und mich berührend über eine bewegende Zeit, familiäre Dramen und Miriams Suche
nach Identität, die Klaras langes Schweigen verständlich machen. Gerne empfehle
ich den Roman weiter.