Titel: Der Ozean am Ende der Straße
Autor: Neil Gaiman
Übersetzer aus dem Englischen: Hannes Riffel
Erscheinungsdatum: 30.04.2021
Verlag: Eichborn (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783847900719
„Der Ozean am Ende der Straße“ von Neil Gaiman ist eine
Fantasy. In der mir vorliegenden Ausgabe finden sich über hundert liebevoll
gestaltete Tuschezeichnungen von Elise Hurst, die der Geschichte eine passende,
eher düstere Atmosphäre verleihen.
Ein Mann, etwa Mitte Vierzig, kehrt nach einer Beerdigung an
den Wohnort seiner Kindheit zurück. Sein Elternhaus wurde längst abgerissen,
neu errichtet und später verkauft, aber am Ende der Straße gibt es immer noch den
Ententeich hinter einem alten Bauernhof. Hier lebte damals seine Spielgefährtin
Lettie, vier Jahre älter als er selbst. Er erinnert sich daran, dass er damals
Lettie im Wasser gesehen hat und allmählich kehren seine Erinnerungen an das große,
vieles verändernde Abenteuer zurück, das er erlebt hat, als er sieben Jahre alt
war.
Als Leserin hat mich die Geschichte immer tiefer in das
Geschehen gezogen. Der unbenannte Mann erzählt aus der Ich-Perspektive zunächst
in der Gegenwart, um dann in Gedanken in die Vergangenheit einzutauchen hin zu
einem Erlebnis, dass in den 1960er Jahren stattgefunden hat. Alles beginnt mit
einem Besuch auf dem Bauernhof der Nachbarn im Rahmen einer außergewöhnlichen
Begebenheit. Seltsam wird es für den Jungen dann, als Lettie ihm erzählt, dass
sie von jenseits des Ozeans gekommen sind, von dem der Junge mit eigenen Augen
sieht, dass sie damit den Teich hinter dem Haus meint. Ab diesem Zeitpunkt
geschehen immer mehr Dinge, die nicht alltäglich sind und zunehmend mysteriös
werden.
Neil Gaiman erzählt eine spannend aufgebaute Geschichte mit
einzigartigen sagenhaften Gestalten. Als Leserin hielt ich es für denkbar, dass
der kleine Junge die Ereignisse nur in seiner Fantasie erlebt hat, denn er
fühlt sich allein gelassen, seine Eltern sind beide berufstätig, es sind Ferien
und er hat keine Freunde zum Spielen. Stattdessen soll eine Haushälterin auf
die beiden Kinder aufpassen, auf deren Anweisungen er nicht hören möchte und
dadurch bei ihr in Misskredit gerät.
Zum ersten Mal erlebt er seinen Vater gewalttätig, was ihm
seine Erfindungskraft auch durch die wahrgenommene angespannte finanzielle
Situation der Eltern vorspielen könnte, die eventuell zu harschen ungewohnten
lieblosen Worten und härterem Auftreten des Vaters führte. Die Veränderung im
Verhalten seiner Eltern erklärt er sich durch magischen Einfluss. Der Roman
lässt insgesamt großen Spielraum zur Interpretation offen, auch fragte ich
mich, ob Neil Gaiman eigene Erlebnisse aus seiner eigenen Kindheit in der
Erzählung verarbeitet hat.
Durch die Schilderungen des kleinen Jungen wirken die phantastischen Gestalten überdeutlich groß, seine Angst ist spürbar. Auf dem Bauernhof begegnet er drei Frauen verschiedenen Alters, darunter auch Lettie als jüngste von ihnen. Er fühlt sich rundum wohl in ihrer Nähe. Das Wissen um ihre vermeintliche Existenz gibt ihm Rückhalt und Kraft, die schwierige Zeit zu überstehen.
Neil Gaiman versteht es in seinem Roman „Der Ozean
am Ende der Straße“ in einer mitreißenden, ausdrucksstarken Sprache aus einer
zunächst scheinbar unbedeutenden Alltagssituation heraus eine zunehmend und bis
zum Schluss anhaltend spannende Fantasiegeschichte zu erzählen. Von einem
Lesesog erfasst flog ich über die mit stimmungsvollen schönen Tuschezeichnungen
von Elise Hurst versehenen Seiten hinweg. Sehr gerne vergebe ich eine
Leseempfehlung an Leserinnen und Leser, die eine besondere Geschichte mit
mystischen Elementen mögen.