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Sonntag, 18. Juli 2021

Rezension: Die Stille des Meeres von Donal Ryan

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die Stille des Meeres
Autor: Donal Ryan
Übersetzerin aus dem Englischen: Anna-Nina Kroll
Erscheinungsdatum: 26.05.2021
Verlag: Diogenes (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783257071160

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In seinem Roman „Die Stille des Meeres“ schildert Donal Ryan in den ersten drei Kapiteln jeweils die Geschichte drei sehr verschiedener Männer unterschiedlichen Alters. Zunächst scheint es, als ob die Erzählungen keinen Zusammenhang miteinander haben. Nach Art der Weise aller Bäche und Flüsse, die ins Meer fließen und sich letztlich zu einer einzigen Wassermasse vereinen, verbindet der Autor schließlich im letzten Kapitel, betitelt mit „Seeinseln“, die Erzählstränge seiner Protagonisten Farouk, Lampy und John miteinander, die im kleinen irischen Ort Ardnamoher aufeinandertreffen.

Der Syrer Farouk ist 44 Jahre alt und Arzt. Er möchte sich, seine Frau und seine kleine Tochter vor zu erwartenden Ressentiments in Sicherheit außer Landes bringen. Dazu lässt er sich auf das Geschäft mit einem Schleuser ein, der verspricht, die Familie per Schiff nach Europa zu bringen. Doch nur Farouk erreicht das Land. Lampy, der eigentlich Laurence heißt, ist 23 Jahre und verliebt in die gleichaltrige Chloe, die ihm das Ende der Beziehung erklärt und nach Dublin zum Studium zieht. Er bleibt zurück ohne eine Idee für seine Zukunft, ohne festen Job, mit einem nörgelnden Großvater und einer Mutter, die besorgt seinen mangelnden Ehrgeiz sieht. Der ehemalige Steuerberater John kann auf ein langes Leben zurückblicken, das geprägt ist von Betrug zum Zweck eigener Bereicherung und Untreue. Er hofft in seinen letzten Stunden auf Vergebung. Im letzten Kapitel zeigt sich, welche Umstände ihn zu seinem Geständnis gebracht haben.

Donal Ryan betrachtet seine Figuren Farouk und Lampy als allwissender Erzähler, John lässt er jedoch aus der Ich-Perspektive auf sein Leben zurückblicken. Alle drei Geschichten sind auf ihre Art durch die verschiedenen Schicksale bewegend, wobei John auch oder gerade durch seine Bekenntnisse sein Image als Unsympath für mich nicht abstreifen kann. Gemeinsam ist den drei Hauptfiguren, dass sie sich an einem Tiefpunkt ihres Lebens befinden. Jeder von ihnen hat einmal glücklichere Tage erlebt.

Der Autor bindet seine Figuren in ein gesellschaftliches Gefüge ein. Es sind Geschichten von heute, die das globale Miteinander wie auch den lokalen Zusammenhalt zum Ausdruck bringen. Donal Ryan zeigt, dass weit entfernte Ereignisse wie zum Beispiel der Krieg in Syrien ganz nah in den Alltag des kleinsten Orts auf einem anderen Kontinent einziehen können, dort wo jeder jeden kennt und es kein Entkommen aus der von den Dorfbewohnern zugedachten Rolle zu geben scheint.

Der Roman lebt von den beeindruckenden, vorstellbaren Figuren und dem Schreibstil des Autors, der es schafft, die beschriebenen Personen und ihre Gefühle dem Leser und der Leserin sehr nahe zu bringen. Das vierte Kapitel überraschte mit einer glänzenden Verbindung der Charaktere, die mich berührte und nachdenklich darüber stimmte was Glück ist und ob und wie es über den Umgang jedes Einzelnen mit seinen Mitmenschen erreicht werden kann. Gerne empfehle ich das Buch weiter.