Titel: Ein ganzes Leben lang
Autorin: Rosie Walsh
Übersetzerin aus dem Englischen: Stefanie Retterbush
Erscheinungsdatum: 28.06.2021
Verlag: Goldmann (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783442488506
Rosie Walsh entfaltet in ihrem Roman „Ein ganzes Leben lang“
die romantische und tragische Liebesgeschichte von Leo und Emma vor den Lesern.
Einen ersten Einblick in das schicksalhafte Leben der Protagonistin gibt der
Prolog, in dem eine Szene beschrieben ist, die sich erst später in den näheren Kontext
einordnen lässt. Die Autorin schildert darin, wie die Gezeitenforscherin Emma
gerade einen ungewöhnlichen Fund macht, was ein echtes Highlight in ihrer beruflichen
Karriere ist, und fast gleichzeitig eine beunruhigende Reaktion ihres Körpers
wahrnimmt. Solche Ereignisse, bei denen Freude und Leid in ihrem Leben nah beieinanderstehen,
erlebt Emma immer wieder.
Zu Beginn des Romans leidet Emma seit ein paar Jahren an Krebs,
gegen den sie mit allen Mitteln ankämpft. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Leo hat
sie eine dreijährige Tochter, die sie behütet und beschützt. Leo ist für eine
große Tageszeitung als Journalist tätig und schreibt dort Nachrufe berühmter
und weniger bekannter Personen, die er manchmal auch schon im Voraus für den
Fall der Fälle vorzubereiten hat. Emma und Leo kennen sich seit zehn Jahren und
sind seit sieben Jahren verheiratet, doch für Leo ist diese Zeit wie „ein
ganzes Leben lang“, denn er glaubt, dass er alles über Emma weiß. In der Zeit,
in der für Emma eine wichtige Untersuchung ansteht, verfasst Leo für seine
Ehefrau einen Nachruf. Für ihn ist es eine Reise in die Vergangenheit zu
wunderbaren Erinnerungen, was sich im Cover widerspiegelt.
Die Protagonisten erzählen beide aus der Ich-Perspektive,
die Kapitel wechseln unregelmäßig zwischen den beiden hin und her. Für Emma ist
ihr Zuhause ihr sicherer Rückzugsort. Bald schon erfuhr ich von ihr, dass sie
Leo glücklich machen möchte, doch sie setzt diesem Bestreben Grenzen. Ab diesem
Zeitpunkt wusste ich, dass sie etwas verbirgt, konnte jedoch dessen Dimension
noch nicht abschätzen. Es entstand eine hintergründige Spannung. Leo entdeckt
schließlich bei der Recherche zu seinem Nachruf auf Emma Unstimmigkeiten in
Dokumenten. Erst kann er es nicht glauben, dann sind seine Gefühle für seine
Frau tief verletzt.
Rosie Walsh hat einen mitreißenden Schreibstil, der erst
nach und nach Informationen über das Leben von Emma freigibt, teils durch deren
eigene Schilderungen, teils durch die Nachforschungen von Leo zur Vergangenheit
seiner Frau. Durch das geschickte Einstreuen von Halbwahrheiten ließ die
Autorin mir als Leserin genügend Freiraum zu eigenen Deutungen und führte mich
dadurch auf manche falsche Fährte. Auf diese Weise konnte sie mich durch manche
unerwartete Wendung überraschen. Obwohl Emmas Leben auf Lügen aufgebaut ist,
empfand ich sie zunehmend liebenswert je mehr ich über ihre Vergangenheit
erfuhr. Ein großes Plus der Geschichte ist die Figurengestaltung, denn Rosie Walsh
begründet bis in die Nebenfiguren hinein die Handlungen der einzelnen Personen
nachvollziehbar.
„Ein ganzes Leben lang“ von Rosie Walsh ist ein emotional
berührender Roman mit liebevoll bis ins Detail gestalteten Charakteren, der
glaubhaft aufzeigt, wie möglich es ist, unser Leben, unsere Vergangenheit für
andere nach außen umzugestalten, so dass wir unser Umfeld unserem Sinne nach
täuschen können. Dadurch regt die Erzählung zum Nachdenken an. Gerne vergebe
ich eine Leseempfehlung.