Rezension von Ingrid Eßer
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Im Thriller „The Nothing Man“ von Catherine Ryan Howard begegnete
ich auf den ersten Seiten dem Wachmann Jim Doyle bei einem seiner täglichen
Rundgänge zur Sicherheitsüberwachung in einem Kaufhaus in einer irischen Stadt.
In der Abteilung für Zeitschriften und Bücher beobachtet er das Verhalten einer
Frau, der ein Buch hinfällt. Als Jim den Titel des am Boden liegenden Buchs liest,
geraten seine Gefühle in Aufruf, denn er fühlt sich davon unmittelbar
angesprochen und ist entsetzt. Das Buch heißt „The Nothing Man“ und ihm ist
diese Rolle vor etwa zwanzig Jahren eigen gewesen bis er sie aus einem Grund
aufgegeben hat, die mir als Leserin noch nicht bekannt gegeben wurde.
Nach dieser ersten Szene, nach der ich unbedingt mehr über
Jim Doyle als Nothing Man erfahren wollte, greift die Autorin zu einem
besonderen Clou und bindet ein weiteres Buch, natürlich ebenfalls fiktiv, in
ihre Erzählung ein. Noch einmal blätterte ich über ein Vorsatzblatt, den
bibliographischen Angaben und einer Widmung hin zu der titelgebenden
Geschichte, die die erdachte Eve Black geschrieben hat. Sie ist das letzte
überlebende Opfer des Nothing Man. „Zwei Geschichten. Ein Mörder. Keine Gnade.“
lautet dementsprechend der Untertitel des Thrillers. Ab jetzt wechseln sich die
beiden Erzählperspektiven ab, einerseits der Blick von Catherine Ryan Howard
auf das aktuelle Geschehen, bei dem die Sicherheitskraft Jim Doyle im
Vordergrund steht und andererseits die Schilderung der früheren Taten des
Verbrechers Jim als Nothing Man von Eve.
Die Medien haben Jim damals den „Nothing Man“ genannt, weil
er sehr sorgfältig seine Spuren verwischt hat und die Nationalpolizei der
Republik Irlands keine Beweismittel beibringen konnte. Daher ist es nun umso
spannender zu verfolgen, ob Eve es schafft, nach all diesen Jahren neue
Erkenntnisse zu den bisherigen Ermittlungen beizutragen. Es ist bemerkenswert,
wie Eve trotz ihrer tiefen seelischen Verletzung die Kraft aufbringt, alle
Taten von Jim zu durchleuchten und sich damit auseinanderzusetzen. Als Leserin erhielt
ich von Beginn an den Vorteil zu wissen, wer der Täter ist. Nun erfuhr ich
davon, dass etwas in Jim erwacht, dass ihn dazu treibt, Eves Buch selbst zu lesen.
Das Geschriebene macht ihn zum Gejagten, es verändert ihn und lenkt seine
Aufmerksamkeit auf Eve. Die Autorin ließ mich an den Gefühlen der Protagonisten
teilhaben und beschreibt glaubhaft deren Handlungen.
Catherine Ryan Howard überrascht in ihrem Thriller „The Nothing Man“ mit einer rein fiktiven Geschichte, die sich aber wie True Crime liest. Die von Beginn an aufgebaute Spannung bleibt aufgrund erzählter erfundener Fakten auf einem Niveau zeitweise ruhen, nur um dann bis zum Ende hin stets weiter aufgebaut zu werden. Die Beklemmung wächst konstant zur Spannung an mit der Auflösung der Frage, ob es gelingen wird, nach so vielen Jahren den „Nothing Man“ zu überführen. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung an Thrillerfans.