„Der Titel des Romans „Das geheime Leben des Albert
Entwistle“ von Matt Cain verweist darauf, dass die titelgebende Person etwas zu
verbergen hat. Albert weiß von Jugend an, dass er Männer liebt, was früher
öffentlich nicht erlaubt war. Nach Auseinandersetzungen in seinem Elternhaus
hat er seine damalige Liebe aufgegeben, aber nie vergessen.
Der Protagonist ist Postbote von Beruf und steht jetzt mit
64 Jahren kurz vor seiner Pensionierung, vor der er sich fürchtet. Seit dem Tod
seiner Mutter, um die er sich viele Jahre gekümmert hat, wohnt er allein im ehemals
elterlichen Haus. Er hatte seit dem unglücklichen Ausgang seiner ersten Romanze
nie eine feste Beziehung, auch nennenswerte Freunde hat er keine. Gesprächen
mit seinen Kollegen und Postkunden weicht er aus. Darum schaut er eine
ungewisse Zukunft, in der er noch nicht weiß, wie er seinen Alltag demnächst
gestalten soll. Als auch noch seine Katze stirbt, nimmt seine Traurigkeit zu.
Seine große Liebe George geht ihm nicht mehr aus dem Sinn
und er beschließt, ihn zu suchen. Durch bestimmte Umstände wird Albert
deutlich, dass er selbst etwas in seinem Leben ändern muss, um seinem Wunsch
nachzukommen, denn seine Unerfahrenheit in vielen Dingen steht ihm im Weg. Es
ist schwierig für ihn, sich zu überwinden, auf Menschen zuzugehen und ein
Gespräch aufzunehmen. Ihm wird klar, dass zu seiner Suche Soziale Medien einen
Beitrag leisten können, doch dazu muss er sich erst Zugang verschaffen. Ganz
vorsichtig und Schritt für Schritt überwindet er sich, wobei er Hilfe bei
einigen seiner Kunden sucht und erhält, die er durch die Postzustellung vom
Sehen kennt. Nicht nur Albert, sondern auch andere Figuren entwickeln sich in
der Geschichte weiter und ich fand es schön, über die Veränderungen zu lesen.
Matt Cain ließ mich zu Beginn des Romans daran teilnehmen,
wie ein gewöhnlicher Tag von Albert abläuft. Schnell erfuhr ich, dass ein
bestimmtes, noch ungenanntes Ereignis Ende der 1960er Jahre das ganze Leben und
den Charakter des Postboten geprägt hat. Der Protagonist erinnert sich immer
wieder an einzelne Szenen mit George in der Vergangenheit. Was schließlich zum endgültigen
Scheitern der Beziehung führte erfuhr ich erst sehr spät in der Geschichte.
Albert ist ein stiller Sympathieträger. Die positiven
Rückmeldungen, die Albert im Folgenden auf seine Worte und Handlungen erhält,
steigern zunehmend sein Selbstbewusstsein und so entwickeln sich im weiteren
Verlauf der Roman zu einer Wohlfühlgeschichte, ohne dass der Autor dramatische
Schicksale im Umfeld der Hauptfigur außer Acht lässt.
„Das geheime Leben des Albert Entwistle“ von Matt Cain ist
lustig und traurig, macht wütend, überrascht und ist durchgehend berührend. Der
Autor zeigt, dass es nie zu spät ist, um Verzeihung zu bitten. Gerne empfehle
ich den Roman weiter.