Autor: Hervé le Tellier
Im Roman „Die Anomalie“ des Franzosen Hervé le Tellier kommt
es, treffend zum Titel, zu einer sehr außergewöhnlichen Situation, von der sich
beiläufig herausstellt, dass diese nicht einmalig ist. Dabei geht es um eine
Boeing 787, die im März 2021 von Paris nach New York fliegt. Die Auswirkungen
des Flugs betreffen das Flugzeug selbst, die Crew und die Passagiere. Das Thema
Corona spielt in der Geschichte keine Rolle.
Das Buch ist in drei Kapitel geteilt. Im Folgenden lernte
ich in weiteren Unterteilungen des ersten Kapitels verschiedene Mitreisende des
genannten Flugs kennen. Dieser Teil des Romans liest sich wie Kurzgeschichten,
die unabhängig voneinander gelesen werden können. Darin erfuhr ich mehr vom
Alltag einiger Figuren aus dem Pool der Reisenden, ihren Beruf, über ihre
Beziehung zu Verwandten und Bekannten sowie den Grund, warum sie von Paris nach
New York fliegen. Der mittlere Teil beschäftigt sich damit, was nach Eintritt
der Anomalie geschieht, welche Konsequenzen offizielle Stellen daraus ziehen.
Dabei wird der Geheimdienst zugeschaltet, der Präsident der Vereinigten Staaten
informiert und Wissenschaftler zur Klärung hinzugezogen. Im letzten Kapitel
erlebte ich, welche persönlichen Folgen die Anomalie für die Passagiere und die
Crew hat und wie diese damit umgehen.
Die Regelwidrigkeit, über die die Geschichte handelt, gehört
in den Bereich des Science Fictions. Sie ist ein Gedankenexperiment mit dem der
Autor gekonnt spielt. Hervé le Tellier schreibt literarisch mit
Spannungsmomenten und komödiantischen Elementen. Der Genremix sorgt immer
wieder für Überraschungen. Die Figuren sind abwechslungsreich. Neben einem
Auftragskiller sitzen beispielsweise auch eine Mutter mit zwei Kindern, ein
Architekt und seine Freundin, eine Anwältin und ein Schriftsteller im Flugzeug
auf die der Autor genauer schaut. Die Figuren sind so gewählt, dass sie veranschaulichen,
wie ganz unterschiedliche Personen mit einer Extremsituation zurechtkommen,
egal welchen Alters.
Auf das dritte Kapitel freute ich mich besonders, denn ich
wollte wissen, welches Schicksal der Autor den mir nun bekannten Figuren des
ersten Teils weiter zukommen lassen würde. Dagegen fand ich das mittlere
Kapitel unumgänglich, aber vom Verständnis her schwieriger als die anderen,
denn Hervé le Tellier theoretisiert hierin mehrfach mit einigen Erklärungen für
das Unglaubliche. Seine Ausführungen sind ausdrucksvoll, er zieht manche
Schleife über das Geschehen hinaus und greift auch gerne zum Wortwitz.
Hervé le Tellier spielt in seinem Roman mit einer
futuristischen Idee, deren Glaubwürdigkeit angezweifelt werden darf. Doch
allein die Beschäftigung damit, welche Rädchen sich drehen müssen, um die
Realität zu vertuschen und unser Dasein zu erklären, ist das Lesen wert, darum
empfehle ich das Buch gerne weiter.