In ihrem Roman „Vergissmeinnicht“ nimmt Kerstin Gier die
Lesenden mit in eine magische Welt, zu der man von unserer Erde aus in der Gegenwart
Zutritt findet. Darauf nimmt auch der Untertitel des ersten Bands der Trilogie
„Was man bei Licht nicht sehen kann“ Bezug, denn die mystische Welt bleibt den
meisten Menschen verborgen. Das Cover wirkt mit dem wunderschönen, mit vielen
Elementen ausgestatteten Erscheinungsbild der Illustratorin Eva Schöffmann-Davidov
sehr anziehend. Durch partiell gesetztem Relieflack werden glänzende Akzente
gesetzt. Auch das Buch ohne Schutzumschlag ist ein optisches Highlight. Der
Titel der Trilogie ist nicht nur Bestandteil des Namens eines Geschäfts, das in
der Geschichte eine wichtige Rolle spielt, sondern bezieht sich auf die
gleichnamige Zierpflanze, die oft übersehen wird wie Matilda, eine der beiden
Hauptfiguren.
Der Roman wird von zwei Protagonist*innen erzählt,
einerseits von dem 17-jährigen Quinn und andererseits von der um ein Jahr
jüngeren, gerade erwähnten Matilda. Quinn von Arensburg ist beliebt bei seinen
Mitschülern und er hat eine feste Freundin, von der er sich aber trennen möchte.
Nach einer Party seines besten Freunds Lasse wird er Opfer eines Unfalls bei
dem er schwere Verletzungen erleidet und sich kaum ohne Rollstuhl fortbewegen
kann. Schuld daran sind seltsame Geschöpfe, von denen er sich verfolgt sah.
Aber er versteht, dass man seine Aussagen darüber für verrückt halten wird.
Matilda Martin wohnt mit ihrer Familie in einer Doppelhaushälfte,
das dem Haus von Quinns Familie gegenüber liegt. Ihre Eltern sind sehr
konservativ eingestellt. Seit langem schwärmt sie heimlich für Quinn und bietet
gerne ihre Hilfe den Nachbarn an, um deren Sohn beim Fahren des Rollstuhls
behilflich zu sein, wenn er Termine außerhalb des Zuhauses wahrnehmen muss. Quinn
hat Matilda bisher weitestgehend ignoriert, doch in Gesprächen mit ihr ist er
von ihren Kenntnisse über Fantasywelten beeindruckt und gewinnt seine
Aufmerksamkeit.
Kerstin Giers erster Teil ist so wie die gesamte Trilogie
ein All-Age-Roman. Es ist ein Spiel mit dem Gedanken, dass es eine magische
Welt gibt, in der jedes aus Märchen und Sagen bekannte Wesen wirklich
existiert. Zwar können nur Auserwählte die mystische Szenerie durch Portale
betreten, aber die seltsamen Gestalten haben die Möglichkeit sich den Menschen
zu zeigen. Noch realistischer erscheint die Vorstellung des Bestehens einer
Anderswelt dadurch, dass Quinn selbst über seine Glaubwürdigkeit nachdenkt,
wenn er von seinen Erlebnissen dort berichtet.
Die beiden Protagonisten sind auf ihre ganz eigene Weise
tough. Zwar unterscheiden sich die Meinungen ihrer Eltern deutlich voneinander,
aber sowohl bei Quinn wie auch bei Matilda gelten bestimmte Ansichten und
Regeln mit denen die beiden nicht immer einverstanden sind. Ihr Hang dazu, die
Verbote zu brechen beziehungsweise auf ihre eigene Art auszulegen, bringt
Spannung in den Roman.
Beide Hauptfiguren haben ein äußeres Erscheinungsbild, das
immer wieder Thema ist. Während Quinn wie sein leiblicher Vater asiatische
Gesichtszüge trägt, ist es bei Matilda die Ähnlichkeit zu ihrer ein Jahr
älteren Cousine durch die sie ständig verwechselt werden. Letzteres macht
Matilda in der Regel wütend, führt aber für den Lesenden zu einigen witzigen
Vorfällen.
Die Beschreibung des Geschehens ist frisch, frech und amüsant.
Kerstin Gier nutzt moderne Jugendsprache und Wortwitz, auch während die beiden
Protagonisten sich in zahlreiche gefährliche Situationen begeben.
Das Buch „Vergissmeinnicht – Was man bei Licht nicht sehen
kann“ von Kerstin Gier ist ein mit einer gewissen Unbeschwertheit und dennoch
mit viel Drama versehener Roman, der Generationen übergreifend gelesen werden
kann. Neben einer Geschichte, die im Hier und Jetzt spielt tauchte ich an der
Seite der beiden jugendlichen Protagonisten ein in eine phantastische Welt
voller magischer Gestalten, die real sein könnten. Sehr angenehm fand ich dabei
die Vorstellung, so wie die seltsamen Wesen noch viele Jahre leben zu können.
Ich fühlte mich bestens unterhalten und empfehle das Buch an alle Lesenden ab
etwa 14 Jahren weiter.