In ihrem Roman „Die Stunde zwischen Nacht und Morgen“ nimmt
Priska Lo Cascio die Lesenden mit in das Köln der Nachkriegszeit. Doch vorher
zeigt sie wie der 14-jährige Matthes im März 1945 als Augenzeuge erleben muss, wie die Alliierten
in einem letzten Großangriff Köln in Trümmern legen. Er ist einer der drei
Protagonisten der Geschichte. Aufgrund des sich umarmenden Paar auf dem Cover versprach
ich mir beim Aufblättern eine Liebesgeschichte vor schicksalhaftem Hintergrund
und wurde nicht enttäuscht.
Neben Matthes, der beim oben erwähnten Bombenangriff zur Vollwaise
wird, stehen sein älterer Bruder Helmut und die junge Schweizerin Elvira, Eli
genannt, im Fokus der Erzählung. Helmut studiert Pharmakologie und
beabsichtigt, später in der Apotheke seines Vaters zu arbeiten, als er sich im
Jahr 1942 freiwillig zum Wehrdienst meldet, um für Deutschland als sein
Vaterland zu kämpfen. Jetzt kehrt er nach Hause zurück und steht vor den Ruinen
seines Elternhauses. Bei der Suche nach seinem Bruder begegnet er der 25 Jahre
alten, aus betuchtem Haus stammenden Eli, die als Freiwillige für die Schweizer
Spende arbeitet, die in Köln ein Barackendorf errichtet hat. Eli hat auf Wunsch
ihrer Eltern einem Anwalt in der Schweiz die Ehe zugesagt, doch sie hadert mit ihren Gefühlen zu ihm. Durch ihre
gemeinnützige Arbeit findet sie Wertschätzung und die Entfernung zur Heimat gibt
ihr Gelegenheit, über ihre Zukunft nachzudenken.
Priska Lo Cascio greift in ihrem Roman ein eher unbekanntes
Kapitel der Geschichte auf. Vor dem Lesen des Buchs hatte ich noch nicht von
dem „Schweizer Dorf“ in Köln gehört, das dort nach dem Zweiten Weltkrieg
errichtet wurde. Es ist berührend darüber zu lesen, wie engagiert sich
Freiwillige aus der Schweiz damals dort darum bemühten, die Not und den Hunger
der Bevölkerung in der rheinischen Stadt zu lindern. Der Winter 1946/47
zeichnete sich durch besonders kalte Temperaturen aus und mancher Kölner war
froh, überhaupt ein Zuhause gefunden zu haben, auch wenn man auf engstem Raum
zusammenwohnte. Einige lebten im Keller zwischen den Ruinen oder in notdürftig
wieder hergerichteten Wohnungen. Die Schweizer Spende“ organisierte in Köln
Massenspeisungen, Ausgaben von gespendeten Kleidern und Medikamenten.
Eli ist eine lebensfreudige Figur, die sich durch die Pläne
ihrer Eltern und ihres Verlobten eingeschränkt fühlt und eine Möglichkeit
findet, sich selbst zu verwirklichen. Jedoch gestaltet es sich aufgrund von Konventionen,
denen sie unterliegt, nicht einfach, dauerhaft ihren eigenen Interessen
nachzugehen. Sie nimmt die großen Unterschiede wahr, wie wohlbehütet sie selbst
in der Schweiz die Kriegsjahre erlebt hat und in welchem Elend die Kölner durch
die Bombenangriffe versunken sind.
Einfühlsam beschreibt Priska Lo Cascio die Schweigsamkeit
von Helmut, die mit seinen Erfahrungen im Krieg zusammenhängt. Er wirkt nicht
nur distanziert auf Eli, sondern wahrt auch einen gewissen Abstand zu ihr. Die
Autorin zeigt anhand der Beziehung von Helmut und Eli, wie schwierig eine
Annäherung zwischen Personen ist, die Sympathie zueinander empfinden, wenn
beide eine folgenschwere Vergangenheit haben. Matthes bildet nicht nur ein Bindungsglied
zwischen seinem Bruder und Eli, sondern veranschaulicht die Probleme der
Heranwachsenden, die mit tragischen Umständen einen Kampf ganz eigener Art
führen und sich dennoch auf ihre Zukunft freuen.
In ihrem Roman „Die Stunde zwischen Nacht und Morgen“
erzählt Priska Lo Cascio behutsam die Geschichte eines Soldaten, der aus dem
Krieg heimkehrt und sich zu einer freiwilligen Helferin der Schweizer Spende im
Barackendorf in Köln hingezogen fühlt. Unter Einbindung der damaligen politischen
Verhältnisse und geltender gesellschaftlicher Etikette wirkt die Erzählung
authentisch und nachvollziehbar. Daher vergebe ich sehr gerne eine
Leseempfehlung an Lesende historischer Romane.