Das Buch „Ein Ort, der sich Zuhause nennt“ von Astrid Rupert
ist der dritte und abschließende Band der Trilogie über die Frauen der Familie
Winter, der auch unabhängig von den anderen gelesen werden kann. Der Lesende
erfährt zum Ende des Buchs hin eine Erklärung für die Farbgebung aller drei
Bände. Wieder begleitete ich die Protagonistinnen über ein Jahrzehnt hinweg,
aber diesmal stehen die 1930er und 1940er Jahre im Fokus und dabei zeigt
Charlotte eine ganz andere Seite von sich. Sie offenbart ihrer Tochter Paula
wie auch ihrer Enkelin Maya ihr großes Geheimnis, das sie über ihre Jahre als
junge Frau gelegt hat.
Der Roman spielt auf zwei Handlungsebenen. Die von Maya
erzählten Geschehnisse im Jahr 2007 unterbrechen immer wieder die Rückblicke
auf die Ereignisse in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Die
„Winterfrauen“ haben über die Jahrzehnte hinweg jeweils ihren eigenen Weg zu
sich selbst gesucht bis auf Maya, die sich in ihrem jetzigen Umfeld und ihrem
derzeitigen Teilzeitjob nicht wohlfühlt und sich verändern möchte. Im Titel
drückt sich aus, was unterschwellig von den Hauptfiguren gesucht wird, nämlich
ein Ort, der ihnen die Möglichkeit gibt, so zu sein wie sie sein wollen.
Bei einer kleinen Familienfeier zu Mayas dreißigstem
Geburtstag bricht ihre Oma Charlotte beim Öffnen der Haustür zusammen und wird
ins Krankenhaus gebracht. Anlass für den Sturz ist der unerwartete Besuch eines
älteren Herrn, den Charlotte zu kennen scheint, dessen Namen aber Paula und
Maya noch nie gehört haben. Für Tochter und Enkelin ist Charlotte eine fleißige
Bäuerin vom Lande, ruhig, bescheiden und immer auf Konventionen bedacht. Der
überraschende Besuch aber löst bei Charlotte Erinnerungen aus über die sie nun
ihrer Familie zum ersten Mal erzählt.
Paula, die in ihrer Jugend gegen ihre spießige Familie
rebelliert hat und Maya, die eine Zeitlang von der Großmutter aufgezogen wurde,
sind erstaunt über Charlottes Beschreibungen über ihre jungen Jahre. In den
1930er Jahren lebte sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter Lisette und ging
ihrer Berufung nach. Die politischen Veränderungen in Deutschland gingen auch
nicht an dem kleinen Ort vorbei, in dem die Familie Winter wohnte. Die
Nationalsozialisten gewannen immer mehr Anhänger und erließen zunehmend Gesetze
nach deren Gusto. Vor allem wendeten sie sich gegen die Juden. Paula und Maya staunen
darüber, wie beherzt Charlotte damals gehandelt und welchen Mut sie besessen
hat.
Über die Jahrzehnte hinweg hat jede der Frauen der Familie
Winter über bestimmte Angelegenheiten geschwiegen, wodurch eine Annährung und
der Zusammenhalt schwierig war. Das Unverständnis für die nachfolgende
Generation war groß, während sich zwischen Lisette und Paula sowie Charlotte
und Maya eine besondere Bindung zueinander ergab. Astrid Rupert versteht es
sehr gekonnt, die von Beginn im ersten Band an mit vielen Geheimnissen
versehenen vielfältigen Figuren mit der Zeit, ihre eigene Geschichte erzählen
zu lassen und dabei tief in deren Gefühlswelt zu blicken. Die handelnden
Personen sind realitätsnah, ihre Handlungen nachvollziehbar und wie im vorigen
Teil habe ich auch diesmal Parallelen zu Vorkommnissen in meiner eigenen
Familie gefunden.
Nur ungerne habe ich mich im abschließenden dritten Band der
Trilogie „Ein Ort, der sich Zuhause nennt“ von Astrid Ruppert von den
inzwischen liebgewonnenen, auf ihre je eigene Art sympathischen Frauen der
Familie Winter verabschiedet. Ihre jeweilige Geschichte fühlte sich für mich
wie tatsächlich gelebt an, ihr Miteinander hat mich bewegt und ihre Handlungen
und die Gründe dafür waren berührend. Gerne empfehle ich nicht nur diesen Roman
weiter, sondern alle Bände der Reihe.