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Montag, 3. Januar 2022

Rezension: Unser kostbares Leben von Katharina Fuchs

 

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Unser kostbares Leben
Autorin: Katharina Fuchs
Broschiert: 624 Seiten
Erschienen am 30. Dezember 2021
Verlag: Droemer HC

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In Mainhaim in Hessen riecht es zu Beginn der 70er Jahre entweder nach Schokolade oder nach Chemie, je nachdem, welchen Fabrikduft der Wind gerade in die Stadt trägt. Die besten Freundinnen Caro und Minka verbringen ihre Tage am liebsten im nahegelegenen Schwimmbad, bis dort ein Klassenkamerad schwer verunglückt. Während sich Caro vor allem fürs Schreiben interessiert, beginnt Minka, sich politisch zu engagieren. Beide möchten auf die Tierquälerei aufmerksam machen, die im Namen der Wissenschaft in einem Gebäude am Stadtrand passiert. Im selben Alter wie die beiden ist Claire, die aus dem Vietnam kommt und im ansässigen Kinderheim lebt. Dort werden täglich Medikamente an die Kinder verteilt. Dient das wirklich deren Gesundheit?

Die Geschichte beginnt am 27. April 1972 und stellte mir als Leserin die zehnjährigen Mädchen Caro und Minka vor. Sie sind beste Freundinnen und die Grundstücke ihrer Familien grenzen aneinander, politisch stehen ihre Väter jedoch auf unterschiedlichen Seiten. Caros Vater ist der Generaldirektor der ansässigen Schokoladenfaktik und treuer CDU-Anhänger, während Minkas Vater SPD-Mitglied und Bürgermeister ist. Das anstehende Misstrauensvotum gegen Willy Brandt sorgt für angespannte Stimmung in den Familien. Caro und Minka verstehen noch nicht alle Details von dem, was vor sich geht. Sie verbringen einen unbeschwerten Nachmittag im Schwimmbad, bis es zu einem tragischen Unfall kommt.

Neben Caro und Minka wird Claire als dritte Protagonistin eingeführt. Sie ist eine Waise aus dem Vietnam und gerade im Kinderheim der Stadt eingetroffen. Mit ihrer hohen Intelligenz beeindruckt sie ihr Umfeld und lernt in kurzer Zeit die deutsche Sprache. Warum sie sich nach Einnahme der Medikamente, die für ihre Gesundheit sorgen sollen, immer so komisch fühlt, versteht sie jedoch nicht. Die Geschichte springt zwischen den drei Mädchen hin und her, wobei ein allwissender Erzähler die Erlebnisse der Kinder in einen Kontext setzt. Hinzu kommen Kapitel, in denen ich die Eltern oder weitere wichtige Bewohner Mainhaims begleitete, um Einblicke zu erhalten, was in der Stadt vor sich geht.

Der Schreibstil von Katharina Fuchs ist lebhaft und detailreich. Das Lebensgefühl der 70er und beginnenden 80er Jahre wurde gelungen eingefangen: Das Alltagsleben, die Rivalität zwischen CDU und SPD und das aufkeimende Interesse für Tier- und Umweltschutz. Die Autorin hat hier nach eigener Aussage viele persönliche Erfahrungen einfließen lassen - ihr Vater war beispielsweise Direktor einer Schokoladenfabrik - und damit authentische Einblicke geschaffen. In Summe fand ich das Buch aber zu ausschweifend, für mich hätte es 100-200 Seiten kürzer sein dürfen. Den Fokus auf zwei Protagonistinnen in den vorherigen Büchern fand ich besser, durch die Aufstockung auf drei in diesem Buch und die zahlreichen Nebencharaktere habe ich mich den einzelnen Charakteren weniger nah gefühlt.

Mit „Unser kostbares Leben“ hat Katharina Fuchs einen Roman geschrieben, der umfassende Einblicke in die Zeit von 1972 bis 1980 aus der Sicht von drei Teenagern gibt und einen Schwerpunkt auf die politische Situation, Menschenrechtsverletzungen und die beginnende Umweltbewegung legt. Gerne empfehle ich das Buch an alle Leser:innen weiter, die Lust haben, in diese Zeit einzutauchen.