Montag, 28. Februar 2022

Rezension: Das Mädchen mit dem Drachen von Laetitia Colombani

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Das Mädchen mit dem Drachen
Autorin: Laetitia Colombani
Übersetzerin: Claudia Marquardt
Erscheinungsdatum: 23.02.2022
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783103974904
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Das Mädchen mit dem Drachen im gleichnamigen Roman der Französin Laetitia Colombani ist die in Indien lebende Lalita, die ich bereits im ersten Buch der Autorin „Der Zopf“ an der Seite ihrer Mutter Smita kennengelernt habe. Die beiden gehören zu den Dalit, den Unberührbaren, der untersten Gruppe in der indischen Gesellschaft. Smita war es eine Herzangelegenheit, dass ihre Tochter es einmal besser haben sollte und sie nicht wie sie selbst den Schmutz anderer täglich aufsammeln muss, um zu überleben. Nun war ich gespannt, ob ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist.

Lalita ist nach dem Tod ihrer Mutter von einem Verwandten aufgenommen worden, der mit seiner Frau ein Fischrestaurant für die Einheimischen am Strand im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu betreibt. Eines Tages sieht das Mädchen beim Spiel mit dem aus Papier selbst gebastelten Gegenstand wie die Protagonistin Léna beim Schwimmen im Meer versinkt und macht eine Gruppe junger Mädchen, die sich die „Rote Brigade“ nennen, und ihre Anführerin Preeti auf die Ertrinkende aufmerksam. Sie wird von ihnen gerettet.

Léna kommt aus Nantes. Sie hat zwanzig Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, möchte aber in Indien Abstand gewinnen von einer persönlichen Tragödie. Die Begegnung mit Lalita und der Roten Brigade ist für Léna Augen öffnend für die sozialen Umstände in der indischen Gesellschaft. Sie beschließt vor Ort eine Schule zu gründen. Dabei muss sie viele ungeahnte Schwierigkeiten überwinden.

Von Beginn an lässt Laetita Colombani keine Zweifel aufkommen, dass Léna mit einem schwerwiegenden Ereignis in der Vergangenheit zu kämpfen hat. Das, was sie erlebt hat, wird im Laufe des Lesens mit immer mehr Details aufgedeckt. Léna durchlebt in Folge dessen gefühlmäßig Höhen und Tiefen, denn sie hat das Geschehen noch nicht vollständig verarbeitet. Bereits die ersten Begegnungen mit Preeti, die ihr mehr vom Leben der Dalit erzählt, berühren sie tief und lösen in ihr den Wunsch aus, aktiv zu helfen. Endlich tritt wieder eine Aufgabe in ihr Leben, durch die es ihr gelingt, ihren psychischen Schmerz zu verdrängen. Voller Energie beginnt sie mit den Planungen für einen Unterricht der Kinder und ist erstaunt und betrübt über die Widerstände von unerwarteter Seite.

Es ist erschreckend, dass in unserer heutigen Zeit das Kastensystem in Indien von den Einheimischen immer noch gelebt wird und ihm eine so große Bedeutung zukommt. Oft ist das Verhalten gegen die Gesetze des Landes. Die Verwandten von Lalita haben sogar ihre Namen geändert, damit sie daran nicht sofort der unteren Kaste zugeordnet werden können. Es ist eine fiktive Erzählung, aber Laetitia Colombani hat sich vor Ort ein eigenes Bild der Umstände machen können und vermittelt dadurch ein Stück der Realität. Eindrücklich geht sie auch auf die Tatsache ein, dass es noch schwieriger ist, nicht nur zu den Dalit zu zählen, sondern noch dazu weiblich zu sein. Der Zugang zu Bildung ist für Mädchen viel zu häufig unmöglich.

Die Autorin zeigt auch, dass es eine Herkulesaufgabe ist, sich allein oder mit Wenigen gesellschaftliche Änderungen herbeiführen zu wollen. Aber andererseits wird sich nichts verändern, wenn niemand die Initiative ergreift. Léna und Preeti zeigen Entschlossenheit, Durchhaltungsvermögen und Mut. Dabei hat Preeti einen inneren Kampf gegen ihre erstarrten Überzeugungen, die aus Erfahrung entstanden sind, auszufechten. Es bleibt Hoffnung, dass neben einigen Rückschlägen auch Fortschritte erkennbar sind.

Mit ihrem Roman „Das Mädchen mit dem Drachen“ schaffte Laetitia Colombani es erneut, mich als Leserin zu berühren. Ihre Schilderungen der Lebensgeschichten einiger Dalit in Indien klangen für mich authentisch. Die Autorin zeigt mit ihren couragierten Protagonistinnen, dass auch das Engagement einzelner gesellschaftlich etwas bewirken kann. Die Geschichte stimmt nachdenklich und hallt nach. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter. 


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