Der Roman „Unser kostbares Leben“ von Katharina Fuchs spielt
in den 1970er und 1980er Jahren in Hessen in Mainheim. Der Name ist fiktiv,
entspricht aber in der Realität einer ähnlichen Kleinstadt in der Nähe von
Frankfurt am Main. Im Titel spiegelt sich wider wie wertvoll unsere Existenz
ist und wie wichtig es daher ist, alles dafür zu tun, damit Menschen, Flora und
Fauna so geringen Schaden wie möglich nehmen. Die drei jungen Frauen auf dem
Cover versinnbildlichen die drei Protagonistinnen der Geschichte.
Caro und Minka sind zwei der Hauptfiguren. Im Jahr 1972 sind
beide zehn Jahre alt und beste Freundinnen. Caro ist die Tochter des Direktors
der Schokoladenfabrik vor Ort, während Minkas Vater Bürgermeister von Mainheim ist.
Als einer ihrer Klassenkameraden im nahegelegenen Schwimmbad verunglückt wird das
Geschehen zu einer gesellschaftspolitischen Angelegenheit, die weitreichende
Auswirkungen auf die führenden Kräfte der Kleinstadt und den von ihnen
geleiteten Institutionen und Unternehmen hat. Zur gleichen Zeit trifft das
vietnamesische Flüchtlingskind Claire im städtischen Kinderheim ein. Sie ist
die dritte Protagonistin, genauso alt wie Caro und Minka und wird zu einem
späteren Zeitpunkt von Caros Eltern adoptiert.
Die Erzählung trägt autobiographische Züge, denn das Leben
der Autorin hat Ähnlichkeiten mit dem von Caro. Dadurch wirkten die
Schilderungen auf mich besonders realistisch und ich konnte spüren, wie sehr Katharina
Fuchs die von ihr für den Roman gewählten Themen am Herzen liegen, die sie teilweise
seit ihrer Jugend beschäftigen wie beispielsweise Umweltverschmutzung und
Tierversuche. Des Weiteren thematisiert sie in der Geschichte auch
Arzneimittelstudien am Menschen. Was uns heute als verwerflich vorkommt, wurde
damals nicht angezweifelt und oft als notwendig für den Fortschritt angesehen.
Während die Beschreibungen auf Fakten beruhen, nimmt die Autorin sich die
Freiheit einige Ereignisse zeitlich anzupassen, was den Roman noch bewegender
gestaltet.
In ihren Beschreibungen vermittelte die Autorin mir als
Leserin ein umfassendes Bild der Landschaft im Umfeld von Mainheim sowie als
Gegenpol dazu die zunehmende Versiegelung der Kleinstadt durch die Ansiedlung weiterer
Industrie und dem durch die steigende Arbeitnehmerzahl bedingten Bau von
Wohngebieten. Ohne den technischen Standards von heute konnte man die
Windrichtung am wechselnden Geruch erkennen, der in der Luft hing. Der Roman
ist geschickt so konstruiert, dass sie im weiteren Verlauf immer dringlicher
den Handlungsbedarf der Verantwortlichen aufzeigt. Dazu benötigt die Geschichte
eine Anlaufzeit mit einigen Längen bis sie sich entfaltet und sich letztlich die
Begebenheiten verschärfen.
In den Kapiteln des Romans stellt Katharina Fuchs unterschiedliche
Figuren in den Fokus. Dadurch entsteht ein größeres Meinungsbild zu den
verschiedenen Themen als bei einer Beschränkung auf die drei Protagonistinnen
möglich wäre, von denen vor allem Minka sich schon früh beginnt politisch zu
engagieren. Den Auffassungen der jungen Frauen gegenüber stellt die Autorin althergebrachte
Ansichten der älteren Generation. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich
die Darstellung als realistisch bestätigen.
Katharina Fuchs hat mit „Unser kostbares Leben“ einen
Coming-Of-Age-Roman geschrieben, der authentisch die Jugend und Adoleszenzzeit von
drei Mädchen beschreibt, die in einem Umfeld in den 1970er und 1980er Jahren
aufwachsen, das geprägt ist von Seilschaften, die im Rahmen des Goodwill für
Umweltzerstörung, Tierleid und menschenverachtendes Verhalten sorgen. Gleichzeitig
stellt sie das wachsende Aufbegehren in der Bevölkerung gegen die
Mangelzustände mit Zusammenschlüssen in Aktionsgruppen und entsprechenden
Handlungen dar. Gerne empfehle ich das Buch weiter.