Titel: Wo die Wölfe sind
Autorin: Charlotte McConaghy
Übersetzerin aus dem Englischen:Tanja Handels
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783103971002
Inti Flynn ist Biologin und Protagonistin sowie
Ich-Erzählerin im Roman „Wo die Wölfe sind“, geschrieben von der Australierin Charlotte
McConaghy. Sie leitet ein Projekt zur Wiederansiedlung von Wölfen in
Schottland, welches Teil einer Renaturierungsmaßnahme ist mit dem Ziel, den
Klimawandel zu verlangsamen. Zu Beginn der Geschichte erzählt Inti beispielhaft
eine Erinnerung, um den Lesenden zu verdeutlichen, dass sie unter
Mirror-Touch-Synästesie leidet, einer neurologischen Störung bei der der eigene
Körper das nachempfindet, was man bei anderen Lebewesen an Sinneswahrnehmung sieht.
Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Aggie ist Inti auf
zwei Kontinenten aufgewachsen, denn ihre Eltern leben seit langem getrennt. Der
Vater ist Naturforscher und hat ihnen im kanadischen Vancouver die Liebe zur
Natur nahegebracht. In Syndney in Australien arbeitet ihre Mutter als
Ermittlerin bei der Polizei und beschäftigt sich in ihrem Kommissariat mit
Missbrauchsfällen.
Nach einem furchterregenden Erlebnis an ihrer letzten
Wirkungsstätte in Alaska freut Inti sich gemeinsam mit ihrer Schwester auf
einen Neuanfang in Schottland. Während Aggie aufgrund der vergangenen Ereignisse
zurückgezogen lebt, widmet sich Inti dem Wolfsprojekt. Dabei ist ihr klar, dass
die wilden Tiere von den Anwohnern gefürchtet sind, die sich im Fall der Gefahr
selbst verteidigen werden. Ein Zwischenfall gibt ihr Recht. Ihre eigene Liebe
zu den Tieren treibt ungeahnte Auswüchse im Kampf um deren Leben, wobei sie von
ihren eigenen Ängsten eingeholt wird.
Die Darstellung der Aussiedlung der Wölfe empfand ich als realistisch.
Man spürt aus Intis Handlungen ihre Zuneigung zu den anpassungsfähigen Tieren.
Gleichzeitig ist da aber auch ihr anhaltender Schmerz über das dramatische
Geschehen in der Vergangenheit zu spüren, an dem sie sich eine Mitschuld gibt.
Dabei geht es um den Missbrauch und Gewalt gegen Frauen. Durch die Tätigkeit
ihrer Mutter hätte ich die beiden Schwestern sensibler für dieses Thema eingestellt
gehalten, doch Inti wird sich über der Tragweite der physischen und psychischen
Verletzungen erst bewusst als sie es über ihre Synästesie am eigenen Körper
nachempfindet. In der kleinen Gemeinde in der Nähe des Wolfsreservats erspürt
sie wieder einen Übergriff, der sie wütend, aber auch hilflos macht.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen menschliche Gefühle. Inti
hat zu ihrer Schwester immer schon eine ganz besonders intensive Verbundenheit.
Nicht immer war mir ihr Verhalten im Umgang mit Aggie verständlich. Beide
leiden psychisch unter den vergangenen Geschehnissen. Zwar spricht die Autorin
kurz an, dass professionelle Unterstützung hilfreich sein könnte, aber sie wird
von den beiden nicht in Anspruch genommen.
Bei mir als Leserin warf die Erzählung die
unterschiedlichsten Fragen auf, beispielsweise inwieweit wir als Menschen in
die Natur eingreifen sollen. Welche Kriterien sollen wir dabei zugrunde legen?
Sind es immer die „Richtigen“? Charlotte McConaghy betrachtet auch die Ansicht
der ansässigen Landwirte, die ihre Schafe und Kühe frei weiden lassen.
Durch die Konstruktion der aktuellen Begebenheiten baut
Charlotte McConaghy zunehmend Spannung auf, die sich zu einem furiosen Finale zuspitzt.
Dabei halte ich den in der Fiktion geschilderten Umgang Intis mit ihrer eigenen
Gesundheit und den Entschluss ihrer eigenen Schwester über ihr weiteres Leben
für möglich, aber nicht wünschenswert.
Empathisch beschreibt Charlotte McConaghy in ihrem Roman „Wo
die Wölfe sind“ die innere Zerrissenheit der Protagonistin Inti, die ein
Projekt zur Auswilderung von Wölfen in Schottland leitet. Die dramatischen
Erlebnisse in deren Vergangenheit werden immer mehr aufgedeckt und zeigen Inti
als einen verstörten Charakter. Der Roman ist für feinfühlige Personen aufgrund
bestimmter Darstellungen eher nicht geeignet und grundsätzlich ein emotionales
bewegendes Leseerleben, das mich nachdenklich stimmte.