Titel: Das verschlossene Zimmer
Autorin: Rachel Givney
Übersetzerin aus dem Englischen: Ute Leibmann
Erscheinungsdatum: 25.02.2022
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783785727867
Der Roman „Das verschlossene Zimmer“ der Australierin Rachel
Givney spielt im polnischen Krakau in der Zeit von Februar bis September 1939
mit einem Rückblick auf Ereignisse aus den 1920er Jahren. Die Autorin erzählt
darin die Geschichte der 17-jährigen Marie Karska und ihrem Vater, dem
Chirurgen Dominik Karski. Marie hat wenige Erinnerungen an ihre Mutter, die die
Familie verlassen hat als sie noch ein Kleinkind war. Aber sie vermutet, dass
ihr Vater Hinweise auf sie in seinem ständig verschlossenen Schlafzimmer
aufbewahrt.
Marie steht kurz vor ihrem Schulabschluss. Ihr großer Wunsch
ist es, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und Medizin zu studieren.
Bisher hat Dominik nie auf die Fragen Maries nach ihrer Mutter geantwortet. Von
einem Bekannten bekommt sie einen Tipp, wie sie die verschlossene Tür
aufbrechen kann. Ihr ist bewusst, dass sie damit das Vertrauen ihres Vaters
verliert, wenn er sie dabei erwischt.
Der Roman beginnt mit der spannenden Szene, in der Marie
versucht, ins Schlafzimmer zu gelangen. Dabei macht sie eine wichtige
Entdeckung. Doch im Folgenden fokussiert die Erzählung auf die aktuellen
Ereignisse im Leben der beiden Protagonisten. Rachel Givney schildert dabei den
chirurgischen Alltag von Dominik, sein Verhalten zu einem neuen Kollegen und
seine Aussicht auf Beförderung, während Marie sich verliebt.
Inzwischen ziehen am Horizont die dunklen Wolken des Zweiten
Weltkriegs auf. Marie ist sich auf eine arglose Weise nicht der Gefahr für die
jüdische Bevölkerung bewusst mit der sie durch den erneuten Kontakt mit ihrem
früheren Nachbarssohn in Verbindung kommt. Ihr Verhalten nahm ich in einigen
Fällen als nicht glaubwürdig wahr, was unabhängig ist von der Auflösung des
großen Familiengeheimnissen rund um ihre Mutter zum Ende des Romans. Eventuell
kann man ihre Unbedarftheit darauf zurückführen, dass ihr Vater zwar abends
nach der Arbeit das Essen kocht, aber ansonsten viele Dinge unausgesprochen
bleiben zwischen ihm und seiner Tochter. Sie führen ein Leben nebeneinanderher.
Dominik engagiert sich in der Gemeinde, aber in der Gesellschaft kommt er
lediglich seinen Verpflichtungen nach und zeigt kein Interesse an weiteren
Kontakten.
Der Schreibstil der Autorin ist angenehm zu lesen. Im
Mittelteil kommt es durch einige Geschichten, die nicht von Belang sind zu
kleinen Längen. Man sollte aber unbedingt bis zum Ende lesen. Immer wieder
erschienen mir einige Handlungen von Dominik und Marie rätselhaft. Manche fand
ich, wie oben bereits erwähnt, unrealistisch, aber einige mehr hatten damit zu
tun, dass entsprechend eines Satzes aus dem Roman, die Menschen nur das sahen,
was sie sehen wollten. So erging es mir auch als Leserin, die ihre eigenen
Vorstellungen von Marie und Dominik in ihrem jeweiligen Umfeld beim Lesen entwickelte.
Das Thema „Krieg“ verblasst zunächst im Hintergrund und kehrt dann in einer
anderen, für mich unerwarteten Form zurück.
Der Roman „Das verschlossene Zimmer“ von Rachel Givney
enthält ein großes Familiengeheimnis, das am Beginn aufgeworfen wird und am
Ende eine überraschende Aufdeckung findet. Die Autorin stellt die beiden
Figuren Marie und ihren Vater Dominik in den Mittelpunkt, wobei sich
Ungereimtheiten in deren Verhältnis zueinander ergeben, die aber für mich nicht
ganz schlüssig durch die Lösung der Suche nach Maries Mutter geklärt werden.
Insgesamt fühlte ich mich gut durch den Roman unterhalten und empfehle ihn
gerne weiter.