Titel: Man kann Müttern nicht trauen
Autorin: Andrea Roedig
Erscheinungsdatum: 16.03.2022
Verlag: dtv (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783423290135
Das Buch „Man kann Müttern nicht trauen“ ist die
autofiktionale Geschichte der Mutter von Andrea Roedig. In ihrem Werk versucht
sich die Autorin vorzustellen, welche Motive diese für ihr Handeln hatte und
von welchen Gedanken sie geleitet wurde.
Lieselotte, kurz Lilo gerufen, war Jahrgang 1938. Ihr Vater
wurde im Krieg vermisst, weswegen ihre Mutter sie allein großzog. Dabei wird
sie oft gemaßregelt. Sie lernt den Beruf der Modefachverkäuferin in einem
Bekleidungsgeschäft an bester Adresse. Doch sie wird den Sohn eines Metzgers
heiraten und hinter der Fleischtheke stehen. Lilo bekommt neben Andrea drei
Jahre später auch noch Christoph. Wichtige Helferlein sind für sie Zigaretten,
Alkohol und Tabletten. Als ihre Tochter zwölf Jahre alt ist kommt es zu einem
großen Bruch in der Familie und Andrea hat drei Jahre lang keinen Kontakt mehr
zu ihr und später auch immer nur für kurze Phasen.
Die Autorin versucht eine chronologische Aufarbeitung anhand
von Fotographien und Tagebucheinträgen ihrer eigenen Aufzeichnungen und der aus
einer Chronik, die Lilo aufgezeichnet und ihr eines Tages geschenkt hat. Andrea
Roedig beschreibt ihre Mutter, die beruflich ständig im Kontakt zum Kunden
stand, als darauf bedacht, im Privatleben auf Abstand zu bleiben.
Das Verhalten ihrer Mutter war oftmals ein Rätsel für die
Autorin. In bestimmten Situationen, wie beispielsweise im ersten Kapitel
beschrieben, schien sie Freude daran zu finden, ihre Kinder auf eine psychisch
verletzende Weise zu behandeln. Es gab nie eine Erklärung für ihr Tun und auch im
Niedergeschriebenen gibt es keine Erläuterung. Daher füllt Andrea Roedig viele
geschilderten Szenen aus dem Leben von Lilo mit Annahmen bei denen viele Fragen
offenbleiben.
Lilos Leben ist gekoppelt an das ihrer Ehemänner, vor allem
an der Seite ihres ersten Gatten erlebt sie Höhen und Tiefen. Sie ist ein Kind
ihrer Zeit, neugierig auf Mode und Musik im Nachkriegsdeutschland. Die Autorin
setzt sich ebenfalls mit der Rolle ihres Vaters auseinander und damit, wie das Gebaren
ihrer Eltern Einfluss auf den jeweils anderen genommen hat. Später hinterfragt sie
auch das Einmischen ihrer Großeltern in die Ehe und die Erziehung der Kinder.
Die Schilderungen der Autorin sind nicht leicht zu lesen.
Obwohl sie versucht, die Begebenheiten in eine zeitliche Reihenfolge zu
bringen, reichen auch ihre Erinnerungen nicht aus, die ihr vorliegenden
Aufzeichnungen zu vervollständigen. Für ihre Auslegungen lässt sie manchmal
ihre Gedanken schweifen, doch sie bleibt selber dabei auf Distanz. Weder zur Gefühlswelt
der Mutter noch zu der der Tochter konnte ich engen Zugang finden.
In ihrer Autofiktion „Man kann Müttern nicht trauen“ legt Andrea
Roedig erstaunlich offen das Leben ihrer Mutter dar, mit dem sie sich auf
mehrfache Weise beschäftigt hat. Dabei räumt sie ein, dass auch sie selbst zu
dem komplizierten Verhältnis beigetragen hat. Mit dem Anliegen, Gefühle an die
Oberfläche zu bringen, puzzelt sie aus Fotos, Tagebucheinträgen und
Erinnerungen ihre ganz eigene Wahrheit, deren Lesen mir nicht immer leicht
fiel, mich aber berührten.