----------------------------------------------------------------------------
Im Roman „Der Anfang von morgen“ zeigt der Schwede Jens
Liljestrand ein erschreckendes Szenario, das im Zuge des Klimawandels
irgendwann in der baldigen Zukunft sich entwickeln könnte, auf den auch der
Titel anspielt. Ebenso die farbliche Gestaltung des Umschlags nimmt Bezug
darauf und scheint den Interessierten zu warnen. Während des Lesens saß ich auf
meiner Terrasse, es waren 34 Grad und im Radio hörte ich davon, dass in
Brandenburg ein Wald brennt. Wie schnell doch die Realität die Fiktion einholen
kann!
Der PR-Berater Didrik von der Esch urlaubt mit seiner Frau
und seinen drei Kindern im Sommerhaus seiner Schwiegermutter, das etwa 300 km
nordwestlich von Stockholm am Siljan-See steht. Die anhaltende Hitze hat zu
Waldbränden geführt, die dem Aufenthaltsort immer näherkommen. Die Familie muss
fliehen und Didrik versucht die Kontrolle zu behalten. Er inszeniert sich
gegenüber seiner Familie und in den Sozialen Medien als Held, indem er aus der
Masse der Flüchtenden durch das Brechen geltender Regeln und Gesetze auffällt. Er
führt die Sicherheit der Familie und die Freiheit als Grund dafür an. Neben
seinen Argumenten vermutete ich aber auch, dass Didrik erwartete, an Ansehen zu
verlieren, wenn er keine Lösung für die anstehenden Probleme findet. Dennoch
hat er kurze Momente der Reflexion über seine Fehler im Leben. In seiner Ehe
gibt es schon länger Probleme. Er ist immer noch in Melissa verliebt, mit der
er eine außereheliche Beziehung hatte. Mir wurde er nicht sympathisch, genauso
wenig wie die anderen drei Hauptfiguren.
Währenddessen spielt Melissa in der schwedischen Hauptstadt
Housesitter für eine Wohnung eines ehemaligen Tennisprofis. Ihr ist es einerlei
von welchem Ort aus sie ihre Influencer-Postings absetzt, ihr Interesse zielt
darauf, möglichst viele Likes dafür zu erhalten. Mit ihren Fotos versucht sie,
das Schöne auf der Welt festzuhalten, ungeachtet des Klimawandels. Sie
empfindet es als radikal, voller Freude und Glück zu leben und lässt sich gerne
dafür bezahlen, ihren Followern die erfreulichsten Seiten ihres Lebens zu
zeigen. Für sie sind die Einschränkungen der Bevölkerung durch das Chaos, das
durch die Waldbrände und der dadurch erfolgten Evakuierungen von Orten
ausgelöst wurde, lästig. Ihr eigenes Wohlbefinden stellt sie vor dem des
Allgemeinwohls. Ihre Perspektive ist genauso beeindruckend wie die von Didrik
und setzt die zeitliche Schilderung der Ereignisse rund um das Desaster fort.
Als Sohn des früheren Tennisstars, auf dessen Wohnung
Melissa aufpasst, hat der 19-jährige André mit den Anforderungen seines Vaters
zu kämpfen, der nicht versteht, dass er sich beruflich mit dem Thema Leid
auseinandersetzen möchte. Obwohl er das Geschehen in Frage stellt, kooperiert
er mit einer Gruppe, die ihre Message verbreiten möchte, mit der er selbst sich
aber nicht näher auseinandersetzt. Mit André und Vilja, der 14-jährigen Tochter
von Didrik, zeigt der Autor zwei jüngere Sichtweisen auf das Chaos.
Zeitlich umspannt der vierte Teil, der von Vilja erzählt
wird, die Geschehnisse vom Beginn bis zum Ende der Woche, in denen die
Geschichte spielt. Vilja entdeckt dabei ihre soziale Ader. Ihre Hilfsbereitschaft
basiert aber auf Unwahrheiten. Es klären sich dabei einige lose Handlungsfäden
auf. Aber der Esprit, die beeindruckende Art, die mich in die Geschichte
hineingezogen hat, der Schrecken über das, was aus der anhaltenden Hitze
entstehen kann, hat mir gefehlt, leider auch schon in der Erzählung von André, in
der sich das Geschehen zu sehr der Zerstörung von Eigentum zuneigte.
Jens Liljestrand erreicht es mit seinem Roman, auf die
Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Strategien für eine Bewältigung
bietet er nicht an. Er zeigt auf, wozu Menschen in Notsituationen fähig sind,
noch dazu, wenn sie sich in einer Menge Verzweifelter bewegen und der Verstand
durch das Beobachten des Verhaltens anderer ausgehebelt wird. Teilweise schweift er vom
roten Faden ab, was sich aber durch die Gedankengänge der einzelnen
Hauptfiguren erklärt.
Am Ende des Romans bleibe ich zurück mit einer gewissen Furcht
vor den kommenden Auswirkungen, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben
könnten. Dennoch bleibt auch die Hoffnung, dass solche fiktiven Geschichten
über die Folgen der Klimakrise wie der hier vorliegende Roman „Der Anfang von
morgen“ dazu beitragen, aufzurütteln und allen vor Augen zu führen, dass wir
jetzt handeln müssen.