Rezension von Ingrid Eßer
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Nach einem persönlichen Drama beschließt die 53-jährige Anne,
eine der Hauptfiguren im Roman „Wir sehen uns zu Hause“ von Christiane Wünsche,
die lange geplante Auszeit im alten Camper, ohne ihren Ehemann Peter zu
starten. Es ist Juni 2019. Die in Kaarst wohnende Anne ist Lehrerin und hat ein
Sabbatical gewählt. Peter ist einige Jahre älter und bereits Rentner. Gemeinsam
haben sie sich auf eine achtmonatige Tour durch Nordeuropa gefreut. Von vielen
gemeinsamen Urlauben mit dem Wohnmobil ist ihnen die dänische Insel Bornholm
schon gut bekannt. Ihre 24-jährige Tochter Alina, die als Kind mit ihren Eltern
auf Tour war, bleibt mit ihrem Freund in der Studentenwohnung in Düsseldorf. Beide
ahnen beim Abschied nicht, dass das Leben für jede von ihnen eine besondere
Herausforderung bereithält.
Anne hat in ihrem Gepäck einen Karton, in dem der plötzlich
verstorbene Peter Erinnerungen an seine Familie aus Thüringen aufbewahrt hat.
Dazu gehören unter anderem Fotos. Ihr selbst waren die Bilder bis vor kurzem
fast alle unbekannt, aber einige der abgelichteten Personen kann sie aufgrund
der Beschreibungen ihres Manns benennen. Persönlich begegnet ist sie Peters
Familienmitgliedern und früheren Freunden nie. Die beiden haben sich am Tag des
Mauerfalls in Berlin kennengelernt, seitdem ist der Kontakt zu Peters Familie
abgebrochen.
Der Umgang mit der Trauer fällt sowohl Alina wie auch Anne
schwer. Die Stille im Haus ist für Anne erdrückend und obwohl Peter in der
Regel das Wohnmobil gelenkt und vor allem gewartet hat, traut sie sich, die
Reise allein zu. Alina hat ihr Studium zu absolvieren und neben dem Kummer über
den Tod des Vaters kommt nun noch die Sorge um das Wohlergehen ihrer Mutter auf
der Fahrt. Während neue Situationen auf der Fahrt für Anne immer wieder
Herausforderungen darstellen, wird auch Alina mit einem unerwarteten Problem
konfrontiert. Hinzu kommt ein Brief an die beiden, der sowohl Mutter wie auch
Tochter eine unerwartete Seite des liebevollen Ehemanns und Vaters zeigt.
Die Fahrt wird für Anne zu einer Reise in die Vergangenheit
ihres Ehemanns. Manche Aussage von ihm zu Orten und Personen konnte sie nie
zuordnen, hat aber niemals nachgehakt und stattdessen akzeptiert, dass ihr Mann
nicht über sein Leben in der DDR reden wollte. Es ist einer dieser Punkte an
denen Christiane Wünsche mit viel Feinsinn die Befindlichkeiten ihrer Figuren
austariert. Überhaupt gestaltet sich die Geschichte auf der gefühlsmäßigen
Ebene als authentisches Bild. Dank guter Recherche und eigener Erfahrungen
wirken die beschriebene Umgebung und die handelnden Personen ebenso
realistisch, das Geschehen vorstellbar.
Indem die Autorin mit schriftstellerischem Kniff hin und
wieder den Fokus auf Figuren wirft, die bestimmte Begebenheiten erklären, klärt
sie alle Geheimnisse aus der Vergangenheit Peters bis zum Ende hin für den
Lesenden auf.
In ihrem Roman „Wir sehen uns zu Hause“ nahm Christiane
Wünsche mich als Leserin mit auf einen Roadtrip im eigenen Land, den eine ihrer
Protagonistinnen nach dem plötzlichen Tod des Ehemanns unternimmt. Sie zeigte
mir wunderbare Orte und brachte mir die Vergangenheit im geteilten Deutschland
näher. In ihrem Roman wechseln sich Freude wie auch Leid gleichmäßig ab und
vermitteln eine lebensechte Geschichte. Gerne empfehle ich das Buch weiter.