Titel: Jahre mit Martha
Autor: Martin Kordić
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
ISBN: 9783103971637
In seinem Roman „Jahre mit Martha“ schreibt Martin Kordić
über die jungen Jahre seines Protagonisten Željko, dessen Eltern kroatische
Einwanderer aus Herzegowina sind. Es ist Ende der 1990er Jahre und er ist 15
Jahre alt, als er der titelgebenden, deutlich älteren Martha auf einem
Geburtstagsfest seiner Mutter zum ersten Mal begegnet.
Željko lässt sich der Einfachheit halber Jimmy rufen, einen
Namen, den er in den ersten Monaten der fünften Klasse im Englischunterricht
zugewiesen und dann behalten hat. Beide Eltern arbeiten mehr als die üblichen wöchentlichen
Arbeitsstunden. Željkos Vater wird auf Baustellen weit außerhalb von
Ludwigshafen, wo die fünfköpfige Familie in einer Zweizimmerwohnung lebt,
eingesetzt und ist unter der Woche nicht zu Hause anwesend. Als Jugendlicher ist
Željko in handwerklichen Arbeiten geschickt und übernimmt Aufgaben in Nebenjobs
der Eltern. Martha ist eine Arbeitgeberin seiner Mutter, die ihn in den
Sommerferien als Gartenhilfe engagiert. In dieser Zeit lernen die beiden sich
näher kennen und schätzen.
Die Liebe zu Martha ist ungewöhnlich und es ist interessant
davon zu lesen, wie die Beziehung, oft über viele Kilometer hinwegm
aufrechterhalten werden kann. Martha und ihr Umfeld stellen für Željko eine
Welt dar, die er so bisher nicht kannte und die er zum Vorbild nimmt. Als
Professorin verfügt die geliebte Frau über ein hohes Wissen, das sie aber nicht
zur Schau stellt. Ihre Einkünfte ermöglichen ihr ein scheinbar unbeschwertes
Leben und sie verfügt über einen guten Ruf. Erst sehr viel später wird er
feststellen, dass nicht alles im Leben käuflich ist. Mit Željko gemeinsam kann
Martha unbeschwert lachen. Vielleicht hängt sie auf diese Weise einer
verlorenen Jugend nach.
Martha ermöglicht Željko das Studium, wodurch sie für ihn
einen besonderen Wert erhält. Seine Liebe zu ihr wird dadurch meiner Meinung
nach nicht beeinflusst. Er fühlt sich frei darin, Zuneigung in allen Formen zu
geben und zu empfangen. Während des Studiums lernt er einen Literaturprofessor
kennen. Schnell merken beide, dass sie die gleichen Ansichten teilen. Erneut
hat er jemanden gefunden, dem er nacheifern möchte. Er gewinnt dessen Vertrauen
und übernimmt bald einen Teil der Arbeit für ihn. Dafür erhält er einen Obolus,
aber keine Sicherheiten. Er sieht, wie beliebt die Lehrkraft bei den Studenten
ist und freut sich über die Aufmerksamkeit, die sein eigenes Wissen erreicht.
Sein Selbstvertrauen wächst, seine Vergangenheit als Kind von Einwanderern hat
er zu dem Zeitpunkt hinter sich gelassen. In seiner Arglosigkeit erkennt er die
Abhängigkeit, in die er sich begibt, baut jedoch auf Vertrauen.
Besonders beeindruckt hat mich vom Schreibstil her das nebensächliche
Einfließen lassen von Details, die ihn prägten. Nennenswert sind hier vor allem
Probleme in der Schule, die Sparsamkeit der Eltern und der anhaltende ständige
Vergleich von Migranten mit Deutschen, die Željko erlebt. Zu einem Zeitpunkt,
als ich nicht damit rechnete, brachte Martin Kordić mich als Leserin in ein
anderes Land zu anderen Sitten und Gebräuchen. Dadurch erlebte ich nochmal eine
weitere Seite des Protagonisten, die ihm einen Teil seiner Identität gibt und
mich bewegt hat. Hierin spürte ich die Verbindung des Autors zu
Selbsterfahrenem und die gute Recherche.
In seinem Roman „Jahre mit Martha“ lässt Martin Kordić seinen Protagonisten erzählen, wie er verschiedene Phasen in seiner Jugend durchlaufen musste, um zu erkennen, was ihn selbst ausmacht. Dazu gehört seine Liebe zu der wesentlich älteren Martha, aber auch seine Herkunft und die Erfahrungen an der Seite weiterer Weggefährten. Gerne empfehle ich diese beeindruckende und ergreifende Geschichte weiter.