Mittwoch, 31. August 2022

Rezension: Jahre mit Martha von Martin Kordić

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Jahre mit Martha
Autor: Martin Kordić
Erscheinungsdatum: 31.08.2022
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971637
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In seinem Roman „Jahre mit Martha“ schreibt Martin Kordić über die jungen Jahre seines Protagonisten Željko, dessen Eltern kroatische Einwanderer aus Herzegowina sind. Es ist Ende der 1990er Jahre und er ist 15 Jahre alt, als er der titelgebenden, deutlich älteren Martha auf einem Geburtstagsfest seiner Mutter zum ersten Mal begegnet.

Željko lässt sich der Einfachheit halber Jimmy rufen, einen Namen, den er in den ersten Monaten der fünften Klasse im Englischunterricht zugewiesen und dann behalten hat. Beide Eltern arbeiten mehr als die üblichen wöchentlichen Arbeitsstunden. Željkos Vater wird auf Baustellen weit außerhalb von Ludwigshafen, wo die fünfköpfige Familie in einer Zweizimmerwohnung lebt, eingesetzt und ist unter der Woche nicht zu Hause anwesend. Als Jugendlicher ist Željko in handwerklichen Arbeiten geschickt und übernimmt Aufgaben in Nebenjobs der Eltern. Martha ist eine Arbeitgeberin seiner Mutter, die ihn in den Sommerferien als Gartenhilfe engagiert. In dieser Zeit lernen die beiden sich näher kennen und schätzen.

Die Liebe zu Martha ist ungewöhnlich und es ist interessant davon zu lesen, wie die Beziehung, oft über viele Kilometer hinwegm aufrechterhalten werden kann. Martha und ihr Umfeld stellen für Željko eine Welt dar, die er so bisher nicht kannte und die er zum Vorbild nimmt. Als Professorin verfügt die geliebte Frau über ein hohes Wissen, das sie aber nicht zur Schau stellt. Ihre Einkünfte ermöglichen ihr ein scheinbar unbeschwertes Leben und sie verfügt über einen guten Ruf. Erst sehr viel später wird er feststellen, dass nicht alles im Leben käuflich ist. Mit Željko gemeinsam kann Martha unbeschwert lachen. Vielleicht hängt sie auf diese Weise einer verlorenen Jugend nach.

Martha ermöglicht Željko das Studium, wodurch sie für ihn einen besonderen Wert erhält. Seine Liebe zu ihr wird dadurch meiner Meinung nach nicht beeinflusst. Er fühlt sich frei darin, Zuneigung in allen Formen zu geben und zu empfangen. Während des Studiums lernt er einen Literaturprofessor kennen. Schnell merken beide, dass sie die gleichen Ansichten teilen. Erneut hat er jemanden gefunden, dem er nacheifern möchte. Er gewinnt dessen Vertrauen und übernimmt bald einen Teil der Arbeit für ihn. Dafür erhält er einen Obolus, aber keine Sicherheiten. Er sieht, wie beliebt die Lehrkraft bei den Studenten ist und freut sich über die Aufmerksamkeit, die sein eigenes Wissen erreicht. Sein Selbstvertrauen wächst, seine Vergangenheit als Kind von Einwanderern hat er zu dem Zeitpunkt hinter sich gelassen. In seiner Arglosigkeit erkennt er die Abhängigkeit, in die er sich begibt, baut jedoch auf Vertrauen.

Besonders beeindruckt hat mich vom Schreibstil her das nebensächliche Einfließen lassen von Details, die ihn prägten. Nennenswert sind hier vor allem Probleme in der Schule, die Sparsamkeit der Eltern und der anhaltende ständige Vergleich von Migranten mit Deutschen, die Željko erlebt. Zu einem Zeitpunkt, als ich nicht damit rechnete, brachte Martin Kordić mich als Leserin in ein anderes Land zu anderen Sitten und Gebräuchen. Dadurch erlebte ich nochmal eine weitere Seite des Protagonisten, die ihm einen Teil seiner Identität gibt und mich bewegt hat. Hierin spürte ich die Verbindung des Autors zu Selbsterfahrenem und die gute Recherche.

In seinem Roman „Jahre mit Martha“ lässt Martin Kordić seinen Protagonisten erzählen, wie er verschiedene Phasen in seiner Jugend durchlaufen musste, um zu erkennen, was ihn selbst ausmacht. Dazu gehört seine Liebe zu der wesentlich älteren Martha, aber auch seine Herkunft und die Erfahrungen an der Seite weiterer Weggefährten. Gerne empfehle ich diese beeindruckende und ergreifende Geschichte weiter. 

Rezension: Fräulein vom Amt - Die Nachricht des Mörders von Charlotte Blum

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Fräulein vom Amt - Die Nachricht des Mörders
Autoren: Charlotte Blum
Erscheinungsdatum: 31.08.2022
Verlag. FISCHER Scherz (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783651001114

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Im Roman „Fräulein vom Amt“ bildet das reizvolle Thema der Fernsprechvermittlung den Hintergrund für einen fiktiven Kriminalfall im Jahr 1922, was sich auch im Titel widerspiegelt. Hinter dem offenen Pseudonym Charlotte Blum verbergen sich die beiden Autorinnen Regine Bott und Dorothea Böhme. Ihre Geschichte siedeln die beiden in Baden-Baden an, das seit Langem für seine heißen Thermalquellen bekannt ist. Die Gebäude, die für die vor Ort weilenden Touristen entstanden sind, bilden eine opulente Kulisse. Außerdem werden seit 1858 internationale Pferderennen in der Nähe der Stadt veranstaltet, was ebenfalls Eingang in die Erzählung gefunden hat.

 

Alma Täuber, die junge Protagonistin des Romans, arbeitet als Telefonistin auf dem Postamt. Dank des Covers konnte ich mir ihren Arbeitsplatz vor einem Schaltschrank gut vorstellen. Zusammen mit der Floristin Emmi, ihrer besten Freundin, wohnt sie im Dachgeschoß eines Mietshauses und genießt ihre Unabhängigkeit vom Elternhaus. Eines Tages hört sie zufällig bei der Vermittlung eines Telefonats, dass der Anrufende einen erledigten Auftrag meldet und die betroffene Person in der Geschäftspassage beim Kurhaus zu finden ist. Kurze Zeit später liest Alma in der Zeitung von einer jungen Frau, die ebenda ermordet aufgefunden wurde. Sie wendet sich an die Kriminalpolizei, deren Leiter keinen Zusammenhang zwischen Anruf und Tat sieht. Daher beginnt Alma auf eigene Faust mit unkonventionellen Methoden zu ermitteln.

 

Charlotte Blum stellt Alma weitere Figuren zur Seite, die ihr mit ihren Beziehungen oder ihren Kenntnissen behilflich sind. Emmi ist aufgrund von Blumenlieferungen in den Hotels der Umgebung bekannt. Almas Cousin Walter glänzt durch sein Wissen aus dem Medizinstudium. Besonders erfreut ist Alma darüber, dass sie das Interesse von Ludwig Schiller wecken kann, einem Anwärter zum Kriminalkommissar. Aber keiner von ihnen kann Alma davon abhalten, sich nach einem einmal getroffenen Entschluss in gefährliche Situationen zu begeben, was zur Steigerung der Spannung beiträgt, die sich nach dem mysteriösen Anruf zu einem frühen Zeitpunkt im Roman langsam aufbaut. Als dann ein Unfall auf der Rennbahn geschieht, bei dem auch Alma anwesend ist, glaubt sie nicht an den von der Polizei angenommenen Ablauf des Geschehens. Ihr Mut und ihre Beherztheit die Wahrheit aufzudecken, nimmt parallel zur Spannung nochmals zu.

 

Aus dramaturgischen Gründen geben die beiden Autorinnen ihrer Protagonistin mehr Freizeit, als es bei den Fernsprechvermittlungsstellen damals üblich war. Auch geschehen einige Indiskretionen mehr als in der Realität. Aber ich konnte mir gut vorstellen, dass der Stil des Umgangs der Personen miteinander sich damals genauso abgespielt haben könnte. Es wurde sehr viel Wert auf die Konventionen der Zeit gelegt. Alma an ihrem Arbeitsplatz im Umfeld ihrer Kolleginnen zu erleben, fand ich ansprechend, die Beschreibungen dazu waren aufschlussreich. Aufgrund des Settings erhielt ich einen Einblick in die mondäne Welt eines über die deutschen Grenzen hinweg bekannten Kurbads. 


Mit dem historischen Roman "Fräulein vom Amt - Die Nachricht des Mörders" hat Charlotte Blum, eine stimmige Geschichte vor dem Hintergrund des unverbrauchten Themas der Vermittlerinnen im Fernmeldeamt, zu denen die Protagonistin Alma Täuber gehört, geschrieben. Während der Beruf von Alma eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen der aufzuklärenden Verbrechen spielt, bietet das Kurbad Baden-Baden eine reizvolle Kulisse für die im Jahr 1922 spielende kriminelle Handlung. Gerne empfehle ich das Buch weiter und freue mich auf die Fortsetzung, die im Januar 2023 erscheinen wird.

Dienstag, 30. August 2022

Rezension: Freiheitsgeld von Andreas Eschbach


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Freiheitsgeld
Autor: Andreas Eschbach
Hardcover: 528 Seiten
Erschienen am 26. August 2022
Verlag: Bastei Lübbe

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Im Jahr 2064 zieht der Fitnesstrainer Valentin mit seiner Frau Lina in eine "Gated Community" und kann seinen Augen kaum trauen: Alles ist so sauber, so sicher, so schön! Zwar wohnt er selbst nur in der B-Zone, doch für seine Arbeit darf er die A-Zone betreten, in der zahlreiche Promis seine Dienste in Anspruch nehmen. Einer von ihnen ist Robert Havelock, Bundeskanzler a.D., Eu-Präsident a.D. und Erfinder des Freiheitsgeldes, eines festen Betrags, der jedem und jeder Deutschen monatlich zusteht. Valentin ist zunächst begeistert von seinem neuen Leben, doch er muss feststellen, dass alles einen Preis hat.

Wie auch Valentin hat sich Ahmad Müller entschieden, sein Freiheitsgeld durch eine berufliche Tätigkeit aufzustocken, auch wenn ihm nach Abzug der exorbitanten Steuern nur ein kleines Extra bleibt und er sich eine Wohnung mit seinem Großvater teilen muss. Er arbeitet als Polizist bei der Steuerfahndung, würde aber lieber Verbrechen aufklären. Schließlich werden gleich zwei Personen tot aufgefunden. Was ist hier vorgefallen, gibt es eine Verbindung?

Andreas Eschbach nahm mich als Leserin 42 Jahre mit in die Zukunft in ein Deutschland, in dem ein Großteil der Arbeit von Maschinen übernommen wurde. Viele Jobs gibt es nicht mehr, und die sind aufgrund der hohen Steuerabgaben mäßig attraktiv. Mit dem Freiheitsgeld, das jeder erhält, lässt es sich einigermaßen, wenn auch nicht sonderlich luxuriös, leben. Umso erstaunter ist Valentin, welche Verhältnisse in der "Gated Community", in der sich zahlreiche Prominente zur Ruhe gesetzt haben, herrschen. 

Die Geschichte startet ruhig und nimmt sich Zeit, mir die Charaktere genauer vorzustellen. Ich verfolgte Ahmeds Polizeikarriere und seine Versuche, seine toughe Freundin Franka, die als Handwerkerin Badezimmer gestaltet und saniert, enger an sich zu binden. Valentin fehlt für seine Frau Lina hingegen zunehmend die Zeit, die sich überlegen muss, wie sie ihre Tage in der Community ohne Job gestalten will. 

Die beiden Toten, deren Identität in der Buchbeschreibung schon enthüllt wird, werden erst nach 200 Seiten gefunden. Dadurch werden zahlreiche Fragen aufgeworfen. Ahmads Erzählstrang interessierte mich von da an am meisten, da ich wissen wollte, ob die Polizei die Todesursachen aufklären kann. Die Ermittlungen gestalten sich jedoch lange als zäh, bis zum Ende hin Schlag auf Schlag alle Geheimnisse enthüllt werden. Ich hätte mir hier einen ausgewogeneren Spannungsbogen gewünscht. 

Die Überlegungen, wie eine Welt mit fortschreitender Digitalisierung, verstärkten Klimaschutz-Bemühungen und bedingungslosem Grundeinkommen aussehen könnte, fand ich interessant. Natürlich steckt in der Handlung auch allerlei Gesellschaftskritik, die ins Nachdenken bringt. Gerne empfehle ich "Freiheitsgeld" an Leser weiter, die Lust auf einen in Deutschland angesiedelten Zukunftsroman mit Krimielementen haben.

Montag, 29. August 2022

Rezension: Denk ich an Kiew von Erin Litteken

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Denk ich an Kiew
Autorin: Erin Litteken
Übersetzer aus dem amerikanischen Englisch: 
Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher
Erscheinungsdatum: 29.07.2022
Verlag: Lübbe (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783785728321
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In ihrem Roman „Denk ich an Kiew“ greift die US-Amerikanerin Erin Litteken das Thema des „Holodormor“, die Hungersnot in den 1930er Jahren in der Ukraine auf. Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen über mehrere Generationen hinweg. Im Jahr 2004 steht die vor einem Jahr verwitwete Journalistin Cassie im Fokus der fiktiven Ereignisse. Sie schafft es kaum, über den Unfalltod ihres Ehemanns hinweg zu finden. Ihre Mutter schlägt vor, dass sie für eine Weile zu ihrer hochbetagten Großmutter Bobby nach Illinois ziehen soll, die sich in letzter Zeit seltsam verhält. Bobby wurde im Südwesten der Ukraine in einem kleinen Dorf geboren, das zur Oblast Kiew gehört.

Das Cover finde ich schön ausgestaltet mit den dunklen Wolken am Himmel, die für die bedrohenden Schatten stehen, die über der Kornkammer Europas liegen. Andererseits geben die Sonnenstrahlen Hoffnung auf eine freudige Zukunft für das Land.

Die Kapitel wechseln sich über die beiden Zeitebenen hinweg ab. Die Autorin schildert Begebenheiten in der Ukraine, wie sie sich im Zeitraum zwischen 1929 und 1934 tatsächlich ereignet haben könnten. Die anfangs 16-jährige Katja ist dabei die Hauptfigur. Ihre Familie und ihre Freunde sind Heimat für sie und bedeuten ihr alles. Mir wurde bald klar, dass Bobby identisch mit Katja sein muss.

Ihre fünfjährige Tochter Birdie, die bei dem Unfall des Vaters dabei war und seitdem nicht mehr spricht, gibt Cassie Sinn im Leben. An dem von der Familie angemieteten Haus in Wisconsin hält sie nur fest, weil sie die frühere Routine im Alltag darin weiterleben kann. Zum Schreiben fehlt ihr die Konzentration. Nur widerstrebend folgt sie dem Vorschlag ihrer Mutter für den Umzug zu Bobby.

Die Autorin schildert diesen Teil der Geschichte sehr feinsinnig. Sie lässt Cassie langsam die verschiedenen Phasen der Trauer durchlaufen. Parallel dazu hat die Protagonistin das nahende Lebensende ihrer Großmutter zu verarbeiten. Bobby versteht es auch jetzt noch, ihre Enkelin für die Dinge zu begeistern, die sie selbst geliebt hat und ihren Lebensmut weiterzugeben.

Von ihrer Jugend hat sie nie gesprochen. Die Jahre als junge Frau waren für Bobby, die in der Ukraine Katja gerufen wurde, von harter Arbeit erfüllt. Nach dem politischen Diktat zur Kollektivierung wurde es für die Familie auf dem Gehöft immer schwerer, sich den Anweisungen zu widersetzen. Die Oblast wurde schließlich von einer Hungernot überzogen, die unvorstellbare Ausmaße annahm. Katja als lautere Person zeigt Missfallen an bestimmten Handlungen, kann sich ihnen aber nicht entziehen. Ein Tagebuch hilft ihr dabei, das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Die Autorin hat selbst Vorfahren aus der Ukraine, wodurch sie auf den Holodomor aufmerksam wurde. Aufrüttelnd und bewegend sind die von ihr geschilderten Begebenheiten, die auf Fakten beruhen und daher besonders zu Herzen gehen und in Erinnerung bleiben. Das auffällige Verhalten von Bobby wurde dadurch verständlich. Tragisch ist auch der weitere Verlauf ihrer Lebensgeschichte und umso bewundernswerter ihre Kraft zum Überleben und der Glaube an eine glücklichere Zukunft.

In ihrem Roman „Denk ich an Kiew“ erzählt Erin Litteken von dem berührenden erdachten Schicksal der Ukrainerin Katja, die die schwere Hungersnot in den 1930er erlebt und später in die USA ausgewandert ist. Ihre Enkelin Cassie hat ihr eigenes Päckchen zu tragen, doch gegenseitig können sie einander stützen. Trauer und Leid, aber auch Hoffnung und Liebe sind die Zutaten des Romans, der mich als Lesende aufwühlte und betroffen machte. Gerne empfehle ich das Buch weiter. 


Sonntag, 28. August 2022

Rezension: Bruch - ein dunkler Ort von Frank Goldammer

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Bruch - Ein dunkler Ort
Autor: Frank Goldammer
Erscheinungsdatum: 16.08.2022
Verlag: Wunderlich (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783805200905
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Mit dem Buch „Bruch“ eröffnet Frank Goldammer eine neue Kriminalromanreihe, die ihren Titel nach dem Namen eines Protagonisten erhalten hat. Der erste Band trägt den Untertitel „Ein dunkler Ort“ zu Recht, denn er führte mich als Leserin immer wieder zu einem Lost Place in Dresden, an dem es schauerlich zugehen soll. Das Cover unterstützt den unwirtlichen Eindruck der Gegend, in der Ermittlungen stattfinden.

Hauptkommissarin Nicole Schauer hat sich der Liebe wegen in den Osten Deutschlands versetzen lassen. Nach einer schweren Erkrankung ist sie aber wieder Single. Am liebsten würde sie sich wieder zurück versetzen lassen nach Hamburg. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Felix Bruch wird ihr an ihrem ersten Tag bei der Kriminalpolizei Dresden ein Fall von Kindesentführung zugewiesen. Ein 12-jähriges Mädchen ist verschwunden. Einen ähnlichen Fall, der nie geklärt wurde, gab es bereits vor zwei Jahren. Bei der Zusammenarbeit mit Bruch merkt Schauer, dass ihr Kollege seltsame Reaktionen zeigt. Sie fragt sich, ob es einen Zusammenhang mit dem Unfalltod seines früheren Dienstpartners gibt. Die Ermittlungen schleppen sich dahin. Einzig Bruch überrascht Schauer mit ungewöhnlichen Überlegungen.

Der Kriminalroman punktet nicht nur mit einem schaurigen Handlungsort, sondern vor allem in dem Miteinander der beiden ermittelnden Personen Bruch und Schauer. Schauer hat mit guten Vorsätzen ihren neuen Dienst angetreten. Sie hat gestutzt, als ihr Vorgesetzter sie auf die besondere Art von Bruch hingewiesen hat. Im Laufe des Romans merkte ich, dass Nicole Schauer sich zwar häufiger vornimmt, schroff zu reagieren, aber in letzter Minute ihre Entscheidung auch mal revidiert. Es ist nicht einfach für sie, mit Bruch zu kommunizieren, der dazu neigt, wenige Worte zu verschwenden. Dabei konnte ich das beim Lesen gut nachvollziehen. Bei einer Zusammenarbeit ist es schwierig, auf emotionslose Reaktionen einzugehen und zu interagieren.

Aber nicht nur Bruch hat seine dunklen Stunden, in denen er neben sich zu stehen scheint, sondern Schauer zeigt unangemessene Aggressivität im Dienst, für die sie in Hamburg bereits bekannt war. Sie selbst hat auch ihr Päckchen zu tragen. Die Trennung und eine schwere Krankheit haben ihr stark zugesetzt. Beide besitzen jedoch den Ehrgeiz den Fall zu lösen, bevor die Ermittlungen eingestellt werden. Das gemeinsame Ziel verlangt ihnen Respekt und Verständnis für den jeweils anderen ab und die mühsam aufrecht erhaltene Fassade bekommt Risse, so dass ich als Leserin erste Einblicke in die Vergangenheit der Hauptfiguren werfen konnte. Doch noch sind nicht alle Geheimnisse und Zusammenhänge gelüftet. Daher freue ich mich schon auf einen weiteren spannenden Fall mit dem ungewöhnlichen Dresdner Ermittlergespann Felix Bruch und Nicole Schauer freue. Gerne empfehle ich das Buch an Krimifans weiter.



Freitag, 26. August 2022

Rezension: Auf See von Theresia Enzensberger


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Auf See
Autorin: Theresia Enzensberger
Hardcover: 272 Seiten
Erschienen am 22. August 2022
Verlag: Hanser Verlag

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Die siebzehnjährige Yada lebt auf der Seestatt, einer schwimmenden Insel in der Ostsee. Ihr Vater ist der Gründer dieses Projekts, das eine sichere Zuflucht bietet, nachdem sämtliche Strukturen auf dem Festland zusammengebrochen sind. Er hat für Yada nicht nur einen festen Tagesablauf entworfen, sondern kontrolliert auch, mit wem sie sprechen und welche Informationen sie erhalten darf. Als Yada mit rätselhaften Verletzungen aufwacht, sorgt sie sich, dass sie wie ihre verstorbene Mutter unter einer schweren psychischen Krankheit leidet. Schließlich macht sie eine Entdeckung, die ihr ganzes Leben in Frage stellt.

In einem zweiten Handlungsstrang lernte ich die Künstlerin Helene kennen, die in Berlin lebt. Nachdem sie aus einer Laune heraus mehrere Vorhersagen getroffen hat, von denen sich die meisten zufällig als richtig erwiesen, wird sie von Anhängern als Orakel verehrt. Sie lässt sich ohne Konto und Internet durch den Tag und die Wohnungen ihrer Freund:innen treiben. Ihre Anhängerschaft hat sich über die Zeit zu einer Art Sekte entwickelt und sie selbst hat kein großes Interesse mehr daran, ihnen die Richtung zu weisen. Einem Konkurrenten das Feld zu überlassen, der mit falschen Versprechungen lockt, erscheint ihr aber auch nicht richtig.

Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht von Yada und Helena erzählt. Der Fokus bleibt zunächst stark auf den beiden Protagonistinnen. Über die Welt, in der sie leben, erfuhr ich nur das, was sie aus ihrer subjektiven Perspektive bewusst wahrnehmen. Schnell wird klar, dass Yadas Bild von der zusammengebrochenen Gesellschaft auf dem Festland nicht zu Helenes Erlebnissen in Berlin passt und auf der Seestatt einiges im Argen ist.

Die Zukunft, welche hier von der Autorin geschildert wird, fühlt sich nicht allzu unmöglich an. Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder idealistische Ideen einer Gesellschaft, die in Archivschnipseln eingestreut werden. Es handelt sich um gut recherchierte kurze Passagen beispielsweise über das fiktive Königreich Polyrais, das Schicksal der Republik Nauru oder die Anfänge von Scientology. Ich fand diese Einschübe interessant, sie gaben neue Denkanstöße für die fiktive Geschichte und untermauern die Plausibilität des Geschehens.

Ich tauchte beim Lesen tief in die Psyche der beiden Protagonistinnen ein und erhielt einen umfassenden Einblick, was das Erlebte mit ihnen macht. Auch die komplizierten Beziehungen der beiden zu Familie und Freunden werden intensiv beleuchtet. Eine ganze Weile war ich ahnungslos, wohin die Geschichte mich führen wird, bis sich eine Ahnung entwickelt, die schließlich zur Gewissheit wird. Die Antworten auf die meisten meiner Fragen meinte ich im Laufe der Geschichte gefunden zu haben, was durch längere Erklärungen zum Ende hin bestätigt und um weitere Hintergrundinformationen erweitert wurde.

Die Neugier trieb mich durch die Seiten, auch wenn der Erzählton unaufgeregt ist und die Geschichte mit wenigen Spannungsmomenten auskommt. "Auf See" ist gleichzeitig Beziehungsroman, Dystopie und Gesellschaftskritik, die sich mit den Schattenseiten libertärer Ideen auseinandersetzt. Eine kurzweilige, zum nachdenken anregende Lektüre, die ich gerne weiterempfehle!

Mittwoch, 24. August 2022

Rezension: Baedeker Reiseführer Kanada Osten von Ole Helmhausen


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Baedeker Reiseführer Kanada Osten
Autor: Ole Helmhausen
Broschiert: 554 Seiten
Erschienen am 6. Juli 2022
Verlag: MairDumont

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In Vorbereitung auf meine bald anstehende Reise nach Kanada habe ich den im Juli in einer neuen Auflage erschienenen Baedeker Reiseführer "Kanada Osten" genutzt. Ich werde einen Roadtrip von Toronto bis Quebéc machen, sodass dieser Reiseführer das Gebiet, das ich erkunden werde, gut abdeckt. Zu Beginn des Reiseführers gibt es in Form von Bild und Text erste kurze Einblicke in Kunst, Kultur und Gesellschaft des Landes, die mich auf die Reise einstimmten. Anschließend sind fünf Vorschläge für Touren von Neufundland bis Thunder Bay abgedruckt. Dann folgen die Reisetipps nach Provinzen geordnet: New Brunswick, Newfoundland & Labrador, Nova Scotia, Ontario, Prince Edward Island und Québec. 

Ich habe mich vor allem mit den Kapiteln zu Ontario und Québec beschäftigt, wohin ich reisen werde. Die Kapitel beginnen mit einigen wissenswerten Informationen zur Provinz, die Städte und Nationalparks sind anschließend alphabetisch geordnet. Ein und zwei Sterne zeigen "Herausragende Reiseziele" und "Top-Reiseziele" an, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Die Texte fand ich informativ, es werden kulturelle und gemütliche, aber auch sportliche und abenteuerliche Aktivitäten vorgeschlagen. Informationen zu Öffnungszeiten, Eintrittsgeldern und Webseiten sind enthalten. Die Informationen werden immer wieder durch halb- oder ganzseitige Bilder untermalt. Tipps zu Hotels und Restaurants sind im Vergleich zu anderen Reiseführern sehr kurz gehalten, was ich gut fand, da ich meine Unterkünfte im Voraus buche und mich bei der Restaurantsuche auf mein Handy verlasse.

Die Infoboxen wie "6x einfach unbezahlbar" haben mir leider nicht so gut gefallen, da sie igrendwo im Buch platziert sind und Tipps aus ganz Ostkanada enthalten. So befindet sich besagte Infobox mitten im Kapitel Québec und weist darauf hin, dass der Eintritt in die Art Gallery of Ontario mittwochsabends frei ist. Im Abschnitt Toronto ist das Museum ein Zwei-Sterne-Highlight, hier ist der freie Eintritt aber nicht erwähnt. Außerdem ist die Webadresse des Museums falsch angegeben (.net statt .ca). Online erfuhr ich, dass man montags ab 10 Uhr ein kostenfreies Ticket für den folgenden Mittwoch reservieren muss. Bei solch topaktuellen Insidertipps kommt der Reiseführer leider an seine Grenzen. 

Der Reiseführer schließt ab mit einigen ausführlichen Kapiteln zur Reiseorganisation und allerlei Wissenswertem. Ganz hinten ist eine Landkarte im Easy Zip-Format integriert, die sich halbwegs unproblematisch wieder zusammenklappen lässt. Weniger unproblematisch ist leider das Gummiband, das den Reiseführer zusammenhalten soll - nach wenigen Benutzungen hat sich der Kleber auf einer Seite des Bandes gelöst, jetzt halten es zwei Tackernadeln.

Insgesamt hat mich dieser Reiseführer bei der Vorbereitung meines Urlaubs gut unterstützt. Ich finde ihn sehr informativ und gut aufbereitet mit nur kleinen Schwächen, die ich oben beschrieben habe. Wer sich auf einen Ostkanada-Urlaub vorbereitet, der erhält hier einen frisch aktualisierten Reiseführer, der Orientierung bietet.

Dienstag, 23. August 2022

Rezension: Robuste Herzen von Volker Jarck

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Robuste Herzen
Autor: Volker Jarck
Erscheinungsdatum: 10.08.2022
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103970845
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Die drei Geschwister Katja, Leon und Milena sind längst dem Elternhaus entwachsen, aber nicht den Stürmen des Lebens entkommen. Beim weihnachtlichen Keksbacken ihrer Eltern haben sich schon vor Jahren die Herzen aus Mürbeteig als robuster als manch andere Form erwiesen. Demgegenüber bekommen die Herzen der Hauptfiguren im Laufe des Lebens manchen Riss.

Der Roman „Robuste Herzen“ von Volker Jarck spielt auf mehreren Zeitebenen. In der Gegenwart schwelgen die Geschwister über dem Inhalt eines Kartons, den sie nach dem Tod ihrer Mutter, die dem Vater in die Ewigkeit gefolgt ist, geöffnet haben. Im Folgenden springt die Erzählung zurück zu einem düsteren Tag für Katja, an dem sie davon erfahren hat, dass sich ihr Mann von ihr trennen möchte. Ganz weit weg schleudern will sie diese Erfahrung in Form ihres Eherings. Doch dann wird ihr der Zugewinn bewusst, den sie durch das Zusammenleben mit Mann und Sohn gewonnen hat und sie sucht nach dem Zeichen der vergangenen Liebe und hebt es wieder auf.

Als Bibliothekarin des kleinen fiktiven Orts Tallstedt an der Nordseeküste ist die inzwischen 43-jährige Katja im ganzen Dorf bekannt, genauso wie die neue Freundin ihres Ehemanns. Nachdem sie erkennt, dass es Schlimmeres als ihre Trennung gibt, beginnt sie, ihre eigenen Wünsche zu benennen und zu realisieren. Mit ihren jüngeren Geschwistern Leon und Milena ist sie über WhatsApp immer verbunden. Die Kabbeleien aus der gemeinsam verbrachten Kindheit stehen dem heutigen Zusammenhalt nicht im Weg. Ganz im Gegenteil führt das Wissen um die Unzulänglichkeiten des Bruders und der Schwester beziehungsweise der Schwestern zu einem tieferen Verständnis dafür, was der- oder diejenige in einer schwierigen Situation benötigt und was man ihm oder ihr selber geben kann, auch wenn man sich kilometerweit voneinander entfernt befindet.

Ängste und Sorgen begleiten die Geschwister, aber auch Hoffnung und Träume, von denen sich manche sofort realisieren lassen, andere später. Volker Jarck erzählt eine Geschichte mitten aus dem Leben in unserer Zeit mit allen unseren gesellschaftlichen Problemen, die wir nicht abwenden können. Sein Schreibstil ist oft dialoglastig in einer Sprache, wie man sie unter Freunden spricht, aber auch zugewandter und fürsorglicher innerhalb der Familie.

Die vielen zeitlichen Sprünge unterbrechen immer wieder den Lesefluss, sind aber durch die Untertitelung der Kapitel nachzuvollziehen. Vorne im Buch gibt es zur besseren zeitlichen Orientierung ein Inhaltsverzeichnis.

In seinem Roman „Robuste Herzen“ zeigt Volker Jarck in der Figurengestaltung seine Stärke. Mit Feingefühl schaut er hinter die Fassade des Gutbürgerlichen, das sich durch die Sozialen Medien heute in anderem Gewand zeigt als noch zum Ende des vorigen Jahrhunderts. Die drei Geschwister, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen, sind über Entfernungen hinweg miteinander verbunden. Der Autor zeigt, dass Heimat immer wieder neu definiert werden kann und je nach Lebensphase neue Inhalte benötigt. Gerne empfehle ich das Buch weiter.



Sonntag, 21. August 2022

Rezension: Das neunte Gemälde von Andreas Storm


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Das neunte Gemälde
Autor: Andreas Storm
Broschiert: 416 Seiten
Erschienen am 18. August 2022
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

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Der Kunstexperte Dr. Lennard Lomberg erhält im April 2016 einen mysteriösen Anruf: Ein Monsieur Dupret kontaktiert ihn im Auftrag einer Stiftung, die nicht genannt werden will. Sie befindet sich im Besitz eines Gemäldes, das NS-Beutekunst ist und das zurückgegeben werden soll. Der Anrufer macht außerdem Andeutungen, dass Lomberg an diesem Fall ein persönliches Interesse haben sollte. Weitere Informationen sollen bei einem Treffen gegeben werden. Doch dazu kommt es nicht, denn einige Tage später wird Dupret tot augefunden. Das BKA vermutet einen Mord und möchte die Verbindung Lombergs zum Fall genau untersuchen. 

Rückblicke führen den Leser zum einen ins Jahr 1943 nach Paris, wo Juden enteignet und ihre Kunstsammlungen von den Nazis beschlagnahmt werden. Auch Verbrennungen der angeblich "entarteten Kunst" werden geplant. Das ehrgeizige SS-Mitglied Franz Eylmann möchte sich auf eigene Faus bereichern undeine strahlende Zukunft verschaffen. Opfer dieses Komplotts ist unter anderem Ernst Lomberg, Lennard Lomberts Vater. Dieser arbeitet 23 Jahre später im Ministerium des Inneren, wo er überraschend einen Termin im Kanzleramt wahrnehmen soll. Sein enger Freund Max Rischer-Wasserberg macht bei einem Termin mti BKA-Chef Paul Bärlach unterdessen eine erstaunliche Endeckung.

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Prolog im Jahr 1914, der davon berichtet, dass die Künstler Georges Braque und André Derain nach einer gemeinsamen Schaffensphase in den Krieg aufberechen, während Pablo Picasso zurückbleibt. Danach springt die Handlung ins Jahr 2016, wo der rätselhafte Anruf von Monsieur Dupret bei Lennard Lomberg den Stein ins Rollen bringt. Ich war neugierig, mehr über das erwähnte Gemälde zu erfahren und den Hinweisen zur Entschlüsselung des Mordfalls zu folgen.

Der Mord rückt nach dem ersten Kapitel zunächst in den Hintergrund, denn die Geschichte springt in der Zeit zurück und berichtet von Ereignissen aus den Jahren 1943 und 1966. Ich erhielt Einblicke in das skrupellose Vorgehen der Deutschen während des Krieges in Paris und das heikle Thema der NS-Raubkunst, die sich heute noch heimlich in Privatbesitz befindet. Auch der internationale Kunstmarkt wird intensiv beleuchtet, ebenso das politische Parkett der Nachkriegszeit, wo sich ehemalige NS-Mitglieder in politisch einflussreiche Positonen bringen konnten.

Die Geschichte ist sehr komplex aufgrund der Vielzahl an Charakteren, die zum Teil auch noch mehrere Identitäten haben, und der zahlreichen Handlungsstränge. Die Sprache ist anspruchsvoll und dialoglastig. Man merkt dem Roman die intensive Recherche an, die hineingeflossen ist, um dieses fiktive Werk möglichst authentisch zu machen. Für meinen Geschmack hätten es weniger Nebenhandlungen sein dürfen, um weniger Längen und mehr Spannung zu erzielen. Aufgrund der hohen Informationsfülle ist es keim Krimi für Zwischendurch, sondern ein sehr konzentriertes Lesen ist nötig, um nichts zu verpassen. Ein Roman für alle Leser:innen, die Lust auf einen intellektuell fordernden Kriminalroman in der Kunstszene haben.

Samstag, 20. August 2022

Rezension: Die Rückkehr der Kraniche von Romy Fölck


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Die Rückkehr der Kraniche
Autorin: Romy Fölck
Hardcover: 336 Seiten
Erschienen am 20. August 2022
Verlag: Wunderlich

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Grete Hansen lebt gemeinsam mit ihrer Mutter Wilhelmine auf einem Hof in der Elbmarsch. Dort arbeitet sie als Vogelwartin für die Naturschutzvereinigung. Ihr baldiger 50. Geburtstag bringt sie ins Grübeln rund um die Frage, wo sie in ihrem Leben steht. Als Wilhelmine in der Küche stürzt und bei ihr eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert wird, kontaktiert Grete ihre Schwester Freya und ihre erwachsene Tochter Anne. Beide haben das Leben auf dem Hof hinter sich gelassen und woanders etwas Neues aufgebaut. Nun machen sie sich in Anbetracht der schlechten Nachrichten auf den Weg in die Heimat. Das Verhältnis der Frauen zueinander ist distanziert, viel Unausgesprochenes steht zwischen ihnen. Können die gemeinsamen Tage auf dem Hof für eine Veränderung sorgen?

Das Buch ist abwechselnd aus den Perspektiven der vier Hansen-Frauen geschrieben, die in ihrem Leben an ganz unterschiedlichen Punkten stehen. Ich lernte sie, ihre Vergangenheit und ihre Wünsche im Laufe der Zeit immer besser kennen. Das Tempo ist ruhig, sodass ich tief in die Geschichte eintauchen konnte. Atmosphärische Beschreibungen des Marschlandes brachten mich beim Lesen in die passende Stimmung.

Wilhelmine hat ihr Leben lang hart gearbeitet, um sich und die Kinder über Wasser zu halten, denn ihr Mann ist ertrunken, als die beiden noch klein waren. Dennoch waren Grete und Freya für die Dorfgemeinschaft die Lumpenschwestern. Grete ist dennoch im Dorf geblieben, ihre Studienpläne hat sie an den Nagel gehängt, als sie schwanger wurde. Wer Annes Vater ist, hat sie nie verraten. Dabei hegt Anne schon lange den Wunsch, ihren Vater kennenzulernen. Sie studiert inzwischen in Bremen Environmental Scienes. Freya hingegen hat das Dorf als junge Erwachsene überstürzt verlassen. In Berlin hat sie Karriere gemacht und arbeitet inzwischen als CEO. Die Rückkehr in die Heimat kommt ihr als Fluchtmöglichkeit recht, denn sie ist frisch getrennt und ihrer Firma droht ein Skandal.

Durch zahlreiche Andeutungen wird schnell klar, dass jede der vier Frauen ein Geheimnis vor den anderen hat. Außerdem macht jede von ihnen sich viele Gedanken um ihre Zukunft und die Beziehung zueinander. Alle hegen den Wunsch nach einem stärkeren Zusammenhalt, doch dabei stehen sie sich durch ihre festgefahreren Verhaltensmuster und automatische Reaktionen selbst im Weg. Durch die gemeinsame Zeit auf dem Hof kommt Bewegung in das Beziehungsgeflecht. Die Gedankenspiralen der Frauen hatten für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen ohne Fortschritt. Auf Aussprachen und Entscheidungen musste ich als Leserin lange warten, am Ende ging dann alles sehr schnell.

"Die Rückkehr der Kraniche" ist ein ruhiger Familienroman, der seinen Fokus auf die ausführliche Selbstreflektion der vier Protagonistinnen und ihrer Beziehung zueinander legt. Ich empfehle das Buch an alle weiter, die eine intensive und berührende Lektüre mögen!

Donnerstag, 18. August 2022

Rezension: Wenn ich das kann, kannst du das auch! von Linda Zervakis und Elissavet Patrikiou

 

 


 


 


 


 


 Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Wenn ich das kann, kannst du das auch!
Autorinnen: Linda Zervakis und Elissavet Patrikiou
Erscheinungsdatum: 02.08.2022
Verlag: Gräfe und Unzer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover
ISBN: 9783833882326
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Das Buch „Wenn ich das kann, kannst du das auch!“ aus dem Verlag Gräfe und Unzer beinhaltet eine persönliche Rezeptsammlung der bekannten Journalistin und Fernsehmoderatorin Linda Zervakis. Als Fotografin und Co-Autorin sowie Testeserin hat Elissavet Patrikiou sie bei der Erstellung des Buchs unterstützt.

Linda Zervakis beabsichtigt mit dem Buch nicht, dem Käufer eine Menge Rezepte zu liefern. Stattdessen hat sie eine Handvoll Rezepte ausgesucht, die sie von Bekannten erhalten hat und nach ihrem persönlichen Geschmack angepasst. Dazu holte sie den Rat einiger küchenerfahrener Freunde ein und kochte die Gerichte so lange nach, bis sie ihr schmeckten. Sie selbst hat sich vorher wenig als Köchin betätigt, weil sie von ihrem Mann bekocht wurde und früher von ihrer Mutter. Aus dieser Ausgangslage heraus ist der auffordernde Titel entstanden, denn die Autorin traut es jedem Lesenden zu, dass ihr oder ihm die Gerichte nach den Rezepten im Buch gelingen.

Außerdem finden sich Rezepte ihrer Freunde im Buch, die der Meinung waren, dass Linda Zervakis diese unbedingt einmal probieren sollte. Selbst wenn die Gerichte nicht alltägliche Zutaten enthalten, hat die Autorin dazu einen Kauftipp angeführt. Auch die Empfehlungen hat sie nachgekocht und sie sind ihr schmackhaft gelungen!

Die Rezepte hat die Journalistin in vier Kategorien eingeteilt. Das erste Kapitel ist „Greek Style meets HH“ benannt, denn hier bringt sie ihren südländischen Geschmack in die nordische Heimat ein. Im Kapitel „Griechenland trifft Orient“ finden sich hauptsächlich kleine Vorspeisen, wohingegen der Kochende unter „Rezepte für jeden Tag“ von Suppe über Salat bis hin zur Bolognese ein schöne Mischung findet. Das letzte Kapitel „Alles mit Teig“ enthält einige Backrezepte. Abschließend findet sich ein spezielles Rezept für Gebackenen Feta der Co-Autorin Elissavet Patrikiou, das sie ihrer Freundin Linda schenkt, weil diese es so gerne mag. Also unbedingt ausprobieren!

Neben den Fotos der Rezepte im Buch sind Bilder der Köche und Köchinnen bei der Zubereitung, beim Essen oder auch bei Treffen mit Linda Zervakis zu finden, die motivierend wirken. Ergänzt werden sie von der Autorin mit Hinweisen oder Wissenswertes zum Gericht und Geschichten rund um die abgebildeten Personen.

Mich haben die Aufmachung des Buchs und die Rezepte sehr angesprochen. Das Weißbrot habe ich nach den Angaben gebacken und das griechische Hähnchen aus dem Ofen mit Kartoffeln nachgekocht. Es hat nicht nur mir und meinem Mann prima geschmeckt, sondern das Back- bzw. Kochergebnis sah genauso aus wie das Brot und das Gericht auf den Fotos. Sicher werde ich weitere Rezepte ausprobieren. Gerne empfehle ich das Buch an diejenigen weiter, die sich griechische oder orientalische Einflüsse beim Kochen wünschen und sich dem Geschmack annähern wollen.


Montag, 15. August 2022

Rezension: Findelmädchen - Aufbruch ins Glück von Lilly Bernstein

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Findelmädchen
Autorin: Lilly Bernstein
Erscheinungsdatum: 28.07.2022
Verlag: Ullstein (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Taschenbuch 
ISBN: 9783548065687
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Der historische Roman „Findelmädchen“ von Lilly Bernstein brachte mich zeitlich gesehen zurück in die 1950er Jahre. Das Cover zeigt im Hintergrund den Kölner Dom. In dieser Stadt am Rhein erwartet der leibliche Vater der 15 Jahre alten Helga nach der Rückkehr aus seiner Kriegsgefangenschaft seine Tochter und seinen Sohn Jürgen. Was zunächst für die beiden Kinder, wie es im Untertitel heißt, ein „Aufbruch ins Glück“ sein könnte, erweist sich vor allem für Helga als steiniger Weg.

Helga und Jürgen können sich kaum an die Zeit kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern: sie wussten nicht, wo ihre Eltern sind. Mit anderen elternlosen Kindern lebten sie in Köln in schlimmen Verhältnissen. Eines Tages findet ein französisches Paar dort ihren Sohn wieder, einen Freund der Geschwister. Das Paar nimmt Helga und Jürgen mit in die Heimat und behandelt sie wie eigene Kinder.

Viele Jahre später erreicht die beiden eine positive Antwort auf eine Suchanfrage ihres Pflegevaters nach ihrem leiblichen Vater. Beide freuen sich auf die Heimkehr nach Köln. Helgas Vater meldet seine Tochter auf der Hauswirtschaftsschule an. Zur Ausbildung gehört auch ein Praktikum, das Helga im Waisenhaus absolviert. Es erschreckt sie, wie die Kinder dort behandelt werden. Besonders Bärbel, ein Kind mit etwas dunklerer Hautfarbe, wird häufig schikaniert. Helga versucht es zu schützen, und verzweifelt fast an ihrer eigenen Machtlosigkeit. Auch in Sachen Liebe fühlt sie sich zuweilen hilflos.

Lilly Bernstein thematisiert in ihrem Roman die Verhältnisse im Kinderheim in den 1950ern. Seit einer eigenen Reportage vor einigen Jahren beschäftigt sie sich immer wieder damit. Sie hat Gespräche mit Betroffenen geführt und erzählt darüber in bewegender Weise. Trotz der Gängelung erwähnt sie aber auch, dass Kinder manchmal das Leben im Waisenhaus gerne mochten, weil es für sie die beste Alternative war.

Im Roman werden die Ansichten der 1950er über Erziehung deutlich, sich von den heutigen unterscheiden und die auch erkennbar sind in der Entscheidung des Vaters, Helga den Besuch des Gymnasiums zu verweigern. Damals hielt man eine Ausbildung für Frauen oft für überflüssig, weil sie nach ihrer Heirat keiner Arbeit nachgehen, sondern sich ausschließlich um den Haushalt kümmern sollte. So sah es das Gesetz vor.

Berührend ist auch das Schicksal von Bärbel, einem sogenannten „Brown Baby“, also ein von einer deutschen Mutter geborenes Besatzungskind mit afroamerikanischem Vater, für die besondere Regelungen vom Staat getroffen wurden. Auf verschiedene Weise versteht es die Autorin, tagesaktuelle Nachrichten in das Geschehen einzubringen. Über eine Freundin der Familie, die eine Milchbar betreibt, bindet Lilly Bernstein dank einer Musikbox auch damals bekannte Songs in die Geschichte ein. Unwichtige Details in Handlungssträngen lässt sie bisweilen weg.

Helga ist hilfsbereit, anpassungsfähig, wissbegierig und arbeitet so wie ihr Vater und ihr Bruder viele Stunden am Tag. Für Freizeit bleibt kaum Spielraum, wenn, dann meist am Sonntag. In der Vergangenheit von Helgas Eltern gibt es ein Geheimnis, das der Vater lange zu verbergen weiß. Die Familienmitglieder untereinander schweigen sich häufig aus, dadurch unterbleibt ein offener Umgang miteinander, wie es früher häufiger vorkam. Dank eines dramaturgischen Kniffs konnte ich als Leserin fortlaufend bis zum Ende des Romans mehr über das Schicksal der Mutter von Helga und Jürgen erfahren.

Im Roman „Findelmädchen – Aufbruch ins Glück“ belebt Lilly Bernstein aka Lioba Werrelmann den Zeitgeist der 1950er Jahre. Für ihre 15-jährige Protagonistin bedeutet die Heimkehr aus Frankreich nach Köln, die Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes Leben. Dafür riskiert sie einiges und setzt sich, trotz möglicher Konsequenzen für sie selbst, für andere ein. Mit der Zeit erwacht in ihr die Sehnsucht nach Liebe und Vertrauen. Es ist erschütternd darüber zu lesen, dass die Konventionen und Regeln nicht immer im Sinne der Hauptfigur zum Tragen kommen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.


Rezension: Vega - Der Wind in meinen Händen von Marion Perko


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Vega - Der Wind in meinen Händen
Autorin: Marion Perko
Hardcover: 384 Seiten
Erschienen am 15. August 2022
Verlag: Insel Verlag

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 Vega und ihr Freund Esper arbeiten als Wettermacher und werden zum Beispiel gerufen, um für ihre Auftraggeber Regen auf bestimmte Flächen zu bringen. Was keiner ahnt: Vega ist nicht nur die Assistenin, die aufgrund ihrer siebzehn Jahre noch keine eigene Lizenz hat und Esper bei seiner Tätigkeit mit Chem-Patronen und Drohnen hilft. Ganz im Gegenteil: Esper ist die Ablenkung, während Vega Wind und Wolken ohne jegliche Hilfsmittel kontrollieren kann. Das darf außer Esper aber niemand wissen.

Bei dem Einsatz in einer Gartenanlage kommt es eines Tages zur Katastrophe: Vega ruft Regen herbei, doch dieser stellt sich als ätzend heraus. Verletzte Kinder müssen ins Krankenhaus und Vega gerät als Hauptverdächtige ins Visier der Prüfstelle für atmosphärische Optimierung, kurz PAO. Unverhofft komtm ihr Leo zur Hilfe und den beiden gelingt die Flucht. Doch wie soll es für sie weitergehen? Weitere Zwischenfälle machen Vega bewusst, dass nicht nur ihre eigene Zukunft auf dem Spiel steht.

Das Buch beginn mit dem Eintreffen von Vega und Esper in der Gartenanlage und schon nach wenigen Seiten ist Vega aufgrund des ätzenden Regens gezwungen, unterzutauchen. Der Start in diese mehrbändige Reihe ist rasant. Ich freute mich darauf, Vega und ihre Fähigkeiten besser kennenzulernen. Gleichzeitig werfen die ersten Szenen jede Menge Fragen auf, sowohl rund um das Thema, wie es zu dem Zwischenfall überhaupt kommen konnte als auch dazu, in welchem Zustand sich der Planet grundsätzlich befindet und wie die Gesellschaft sich organisiert hat.

Vega verschlägt es bei ihrer Flucht in die verschiedensten Ecken ihrer Stadt und der Umgebung. Daduch erfuhr ich allmählich mehr über die Welt, in der sie lebt. Auch ihre eigene Geschichte lernte ich durch immer wieder eingestreute kurze Erinnerungen kennen. Wie genau ihre Fähigkeit funktioniert wird hingegen nur vage ausprobiert. Da das Buch aus der Ich-Perspektive Vegas geschrieben ist fühlte ich mich ihr schnell nahe, während ich mich genau wie sie selbst fragte, mit welcher Motivation ihr Begleiter Leo ihr hilft.

Nach dem vielversprechenden Start zog sich das Buch im Mittelteil für meinen Geschmack sehr in die Länge. Zwar bleibt das Tempo hoch, da Vega kreuz und quer durch die Stadt hetzt. Mir fehlten dabei aber neue Erkenntisse und echte Fortschritte. Außerdem wurde mir für ein als Auftrakt der Klima-Saga angekündigtes Buch das Thema Klima zu oberflächlich behandelt. Irgendwann gehen Vega die Ideen aus, was sie noch tun könnte, und ich fühlte mich ebenso orientierungslos. Zum Ende hin wird es durch einen neuen Schauplatz wieder interessanter, doch dann endet das Buch auch schon mit einem fiesen Cliffhanger. Der Fokus dieses Auftakts lag sehr auf Worldbuilding und Charaktervorstellung und ich hatte das Gefühl, dass viele Antworten für weitere Teile zurückgehalten wurden, sodass mich das Buch für sich stehend nur mäßig überzeugen konnte. Nun ist aber alles vorbereitet, damit Vega in kommenden Bänden so richtig durchstarten kann!

Mittwoch, 10. August 2022

Rezension: Triskele von Miku Sophie Kühmel

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Triskele
Autorin: Miku Sophie Kühmel
Erscheinungsdatum: 10.08.2022
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783103971118
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In ihrem Roman „Triskele“ stellt Miku Sophie Kühmel die familiäre Beziehung dreier Schwestern vor dem Hintergrund von fünf Jahrzehnten deutscher Geschichte in den Fokus. Die Geschwister haben dieselbe Mutter, die aber Ende Februar 2020 freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Ihre verschiedenen Väter sind ihnen unbekannt. Blickt man auf die verschiedenen Lebenswege der drei Schwestern Mercedes, Mira und Matea kann man diese in Bezug auf die Form einer Triskele sehen. Denn auch sie bewegen sich vom gemeinsamen Mittelpunkt in unterschiedliche Richtungen weg. Die Geschichte erzählt von ihren Gemeinsamkeiten, betrachtet aber auch ihre Unterschiede.

Die Geburtstage der Geschwister liegen jeweils etwa 16 Jahre auseinander. Dadurch erlebten die beiden ältesten die Geburt der nächstjüngeren Schwester in ihrer Teenagerzeit. Während sie auf der Suche nach Identität waren, kam ihr eingenommener Platz in der Familie ins Wanken.

Mercedes als ältestes Kind wurde 1972 in der Altmark geboren. Jetzt wohnt sie genauso wie die 32-jährige Mira in Berlin. Kurze Zeit nach Miras Geburt wurde Deutschland wiedervereinigt und der Zeitgeist änderte sich. Zielstrebig hatte Mercedes einen aus vernunftgründen gewählten Beruf im Blick. Mira probierte als junge Frau beruflich einiges aus. Beide mögen den Kontakt zu Menschen, aber Matea flüchtet sich mit ihren jetzt 15 Jahren in eine Online-Fantasywelt. Als sie mit Mercedes kurz nach dem Tod der Mutter zusammenzieht bleibt sie ihr gefühlsmäßig fern und verschlossen.

Miku Sophie Kühmel schaut nicht nur auf die Empfindungen der drei Geschwister füreinander, sondern zeigt ebenfalls den Einfluss des Wandels der gesellschaftspolitischen Situation auf den Lebensweg der Schwestern. Der Tod der Mutter fordert von den Geschwistern eine Verarbeitung des Geschehens. Kurze Zeit nach dem Begräbnis schränkt das Coronavirus die Handlungsmöglichkeiten der Protagonistinnen im Alltag und beruflich ein, so dass sie sich nochmals auf neue Gegebenheiten einstellen müssen. Die Schwestern passen sich den jeweiligen Umständen an. Auch in der Sprache weiß die Autorin auf einem bildungssprachlichen Niveau die Veränderungen über die Jahrzehnte darzustellen.

Untereinander bewundern sich die Geschwister für bestimmte Fähigkeiten und Wissen, die sie selbst nicht besitzen. Sie reflektieren kritisch ihr eigenes Leben und respektieren sich. Und dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen sie im Umgang miteinander an ihre Grenzen stoßen. Jede von ihnen hat sich längst abgeseilt von der Mutter, deren Tod ihre bewusste Entscheidung aufgrund einer Krankheit war. Doch genau durch den verbleibenden Faden, zwar unsichtbar, aber deutlich zu spüren, sind sie immer verbunden. Wie in einer Spirale der Triskele entfernen sie sich voneinander und nähern sich wieder an.

In ihrem Roman „Triskele“ schreibt Miku Sophie Kühmel über das Jahr dreier Schwestern nach dem Tod der Mutter. Im monatlichen Wechsel steht jeweils eine von ihnen als Ich-Erzählerin im Fokus und vergleicht, wägt ab, blickt zurück auf ihr eigenes Leben und das der Geschwister. Dabei werden sehr unterschiedliche Themen angeschnitten, wobei aus den Gedanken und dem Handeln der Drei immer ein Zuneigung füreinander spürbar ist trotz psychologischer Distanz. Gerne empfehle ich den Roman uneingeschränkt weiter.


Dienstag, 9. August 2022

Rezension: Im Feuer - ein Fall für Lilly Hed von Pernilla Ericson

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Im Feuer - Ein Fall für Lilly Hed
Autorin: Pernilla Ericson
Übersetzerin: Friederike Buchinger
Erscheinungsdatum: 27.07.2022
Verlag: Scherz (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Klappenbroschur
ISBN: 9783651001091
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Im Kriminalroman „Im Feuer“ schildert die Schwedin Pernilla Ericson den ersten Fall für die erfolgreiche Ermittlerin Lilly Vendela Hed aus Stockholm in ihrem neuen Job, die sich auf eigenen Wunsch in die Provinz weiter südlich von der schwedischen Hauptstadt hat versetzen lassen.

Es ist ein heißer Sommer und die Brandgefahr ist hoch. Die Regierung hat vorsorglich das Grillen und private Bewässern unter Androhung von Strafen verboten, aber viele Schweden halten sich nicht daran. Schon kurz nach Lillys Antritt der neuen Stelle brennt es. Die Feuerwehr hat an mehreren Orten zugleich zu sein und bei weitem nicht genug Möglichkeiten, die Feuer zu bekämpfen.

Ein Mann stirbt in seinem Haus. Bei der Spurensuche findet sich eine Merkwürdigkeit. Einmal darauf aufmerksam gemacht, lässt Lilly der Gedanke nicht mehr los, dass das Feuer bewusst gelegt wurde. Doch das ist er der Anfang, denn kurze Zeit später gibt es ein weiteres Brandopfer an einem neuen Brandherd. Für die Ermittlerin stellt sich die Frage, ob jemand Feuer als Tatwaffe benutzt oder doch ausschließlich die Brände als Folgen des Klimawandels zu sehen sind.

Der vorliegende Fall ist ein clever ausgearbeiteter Kriminalfall. Als Leserin gibt mir die Autorin einen Vorsprung gegenüber Lilly. Dabei ist lange noch kein Täter in Sicht. Für die Rolle des Verbrechers bringt Pernilla Ericson im Laufe der Geschichte mehrere Figuren ins Spiel, die mich miträtseln ließen. Für Lilly ist ihre Kollegin Katja sehr hilfreich, die vor Ort aufgewachsen ist und zahlreiche Bewohner persönlich kennt. Die beiden verstehen sich vom ersten Tag an sehr gut.

Außerdem fügt die Autorin zur Steigerung der Spannung immer wieder Kapitel ein, deren Handlung zwanzig Jahre in die Vergangenheit reichen. Eine ältere Person wird darin von Jugendlichen gemobbt. Mir war bewusst, dass der vorliegende Fall mit den Rückblicken in Zusammenhang stehen musste, aber sehr lange konnte ich beides nicht miteinander verbinden.

Lilly Hed war in den letzten Jahren als Ermittlerin zwar erfolgreich, aber in ihrem Privatleben musste sie schmerzliche Erfahrungen machen. Davon möchte sie Abstand gewinnen. Doch dadurch, dass sie sich nicht über die Ereignisse äußern möchte, die hinter ihr liegen, wird ihre Verschlossenheit auf der Dienststelle als ein psychisches Problem ausgelegt. Sie erkennt, dass sie sich den Schatten ihrer Vergangenheit stellen muss, um sich auch in Sachen Liebe wieder für Jemanden öffnen zu können.

Scheinbar nebenher thematisiert die Autorin die Erwärmung des Klimas mit den Folgen von Hitze und Feuer. An einigen Stellen gibt sie in leicht verständlichem Ton Hintergründe und Erläuterungen dazu.

„Im Feuer“ ist der erste Kriminalfall für die junge schwedische Ermittlerin Lilly Hed, die aufgrund privater Schwierigkeiten einen Neuanfang in einer Provinzstadt Schwedens sucht. Die Brände, die dort aufgrund der Hitze in Folge der Klimaveränderung ausgebrochen sind, könnten ein perfektes Werkzeug sein, um Verbrechen ohne Spuren zu begehen. Kurz nach Beginn der Geschichte bringen die Zweifel an offensichtlichen Szenarien Spannung auf, die sich bis zum Ende hin fortsetzt. Ich bin sehr gespannt auf den Folgeband und vergebe gerne eine Leseempfehlung an Krimifans.


Sonntag, 7. August 2022

Rezension: A Psalm of Storms and Silence von Roseanne A. Brown


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A Psalm of Storms and Silence
Autorin: Roseanne A. Brown
Broschiert: 384 Seiten
Erschienen am 15. August 2022
Verlag: Insel Verlag

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Nach dem erschütternden Ende der Solastia-Feierlichkeiten ist Karina gemeinsam mit Dedele und Afua auf der Flucht. Unterdessen kämpft Malik gegen den Gesichtslosen König an, den er in seinem Geist gefangen genommen hat. Er lebt mit seinen Schwestern im Palast, denn er hat zugestimmt, der Schüler von Farid zu werden. Doch seine Lektionen gestalten sich anders als gedacht. Als eine neue Plage über das Land zieht und eine düstere Prophezeihung die Zukunft in Frage stellt, müssen Karina und Malik sich entscheiden, wofür sie kämpfen wollen und was sie bereit sind zu opfern.

Dieser zweite Teil der Dilogie beginnt mit einem kurzen Rückblick auf die Geburt Karinas und führt die Geschichte dann dort fort, wo der erste Teil endete. Auch wenn ich den Vorgänger erst vor vier Monaten gelesen habe, brauchte ich ein wenig, um wieder in der Geschichte anzukommen, da sich die Ereignisse zuletzt überschlagen hatten. Nun wird den Charakteren erst einmal die Gelegenheit gegeben, die neue Lage zu sondieren und zu überlegen, wie es weitergehen kann. Doch dann wird ihnen die Entscheidung bezüglich des nächsten Schrittes in gewisser Weise abgenommen, da sie sich mit Situationen konfrontiert sehen, die sie zur Reaktion zwingen.

Eine neue Prophezeihung gab mir schließlich eine ungefähre Vorstellung davon, in welche Richtung sich das Buch entwickeln wird. Erneut beginnt die Suche nach lang verlorenen Gegenständen. Die Kapitel sind wieder abwechselnd aus der Sicht von Karina und Malik geschrieben. Hier enden aber auch die Parallelen zum ersten Band. Die Geschichte ist düster und spannend, ich bangte um die liebgewonnenen Charaktere und begleitete sie durch zahlreiche Gefahren. Es gibt einige überraschende Entwicklungen, wobei ich hier immer wieder das Gefühl hatte, dass es sich die Autorin einfach macht, indem scheinbar Unmögliches doch geschieht und dies jedes Mal mit der Magie Solastias begründet wird, deren Regeln niemand gänzlich greifen kann.

In "A Psalm of Stoms and Silence" geht es um die Zukunft von Solstasia und die persönlichen Schicksale von Karina und Malik. Mich konnte die Geschichte erneut fesseln, auch wenn mir der erste Teil noch etwas besser gefallen hat. Gerne empfehle ich die Dilogie an alle High Fantasy-Fans weiter, die Lust auf rätselhafte Magie, Geister und düstere Prophezeihungen haben!

Freitag, 5. August 2022

Rezension: Die karierten Mädchen von Alexa Hennig von Lange

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Die karierten Mädchen (Band 1 von 3)
Autorin: Alexa Hennig von Lange
Erscheinungsdatum: 02.08.2022
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832181680
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Der Roman „Die karierten Mädchen“ ist der erste Band einer Trilogie, die inspiriert ist von der Lebensgeschichte der Großmutter der Autorin Alexa Hennig von Lange. Ende der 1920er Jahre ist die Protagonistin Klara stolz über eine Stelle als Hauswirtschaftslehrerin in einem Kinderheim in Oranienbaum. Einige Jahre später erhält sie die Leitung eines Frauenbildungsheims. Die Auszubildenden sollen einheitliche Arbeitskleidung tragen. In Anlehnung daran werden sie bald als „karierte Mädchen“ bezeichnet.

Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Einerseits erzählt die Autorin von Klara, die etwa um die Jahrhundertwende 91 Jahre alt und blind ist. Dennoch lebt sie weitgehend unabhängig im eigenen Haus. Ihr Mann ist vor vielen Jahren verstorben, aber ihre Kinder besuchen sie noch regelmäßig. Die Schwangerschaft ihrer Enkelin löst bei Klara verschüttete Erinnerung wach. Ihr kommt die Idee, auf Kassetten aufzunehmen, was sie in der Vergangenheit erlebt hat. Auf der zweiten Zeitebene konnte ich von Klara als junge Frau bei Antritt ihrer ersten Stelle lesen. Chronologisch setzt Alexa Hennig von Lange beide Handlungsebenen fort.

Die Autorin schreibt als allwissende Erzählerin. Dadurch erreicht sie eine gewisse Distanz zum Geschehen, die notwendig ist, um der Geschichte ihrer Großmutter einen breiteren fiktionalen Raum zu geben. Es ist für uns heute schwierig, Gründe für die Handlungen der damals Lebenden nachzuvollziehen. Unsere heutige Meinung über die vergangene Epoche beruht auf der Kenntnis vieler Fakten.

Klara trat ihre erste Stelle in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 an. Sie war froh darüber, überhaupt eine Arbeit zu finden in ihrem erlernten Beruf. Aber bald schon geraten die Finanzen des Kinderheims in eine Schieflage und es kommt zu Entlassungen von Personal. Die Protagonistin hat die Idee dazu, sich auf die aufstrebende Partei der Nationalsozialisten zu stützen, die das Heim erhalten will, wenn die neuen Ideologien dort vermittelt werden.

Mit der Figur der Kindergärtnerin Susanne schafft die Autorin eine Person, mit der Klara ihren Standpunkt diskutiert. Susanne kommt aus einer betuchten Familie in Berlin und bringt einen anders gelagerten Blick auf die Machtverhältnisse mit. Durch Einflechten einer Erzählung rund um das jüdische Waisenkind Tolla, dessen Klara sich annimmt, bindet die Autorin zusätzlich die Geschichte der Judenverfolgung mit ein. Obwohl Klara sich und die unter ihrer Obhut stehenden vor weiteren Nöten bewahren möchte, sind ihre Entscheidungen aus moralischer Sicht im Nachhinein kontrovers zu sehen.

Alexa Hennig von Lange schreibt in ihrem Roman „Die karierten Mädchen“ behutsam und einfühlend. Gerne blickt sie hinter die Fassade ihrer Figuren, die sich ändern und weiterentwickeln, aus Sicht des Lesenden nicht immer zu deren Bestem, aber mit Konsequenzen. Auch aufgrund der einfließenden Lebenserinnerungen ihrer Großmutter gelingt es ihr, ein authentisches Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie, deren Handlungszeit bis in die 1960er Jahre reicht. Schon jetzt freue ich mich auf die Fortsetzung und vergebe gerne eine Leseempfehlung für den vorliegenden Band. 

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