Titel: Die karierten Mädchen (Band 1 von 3)
Autorin: Alexa Hennig von Lange
Erscheinungsdatum: 02.08.2022
Verlag: Dumont (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag und Leseband
ISBN: 9783832181680
Der Roman „Die karierten Mädchen“ ist der erste Band einer
Trilogie, die inspiriert ist von der Lebensgeschichte der Großmutter der
Autorin Alexa Hennig von Lange. Ende der 1920er Jahre ist die Protagonistin
Klara stolz über eine Stelle als Hauswirtschaftslehrerin in einem Kinderheim in
Oranienbaum. Einige Jahre später erhält sie die Leitung eines
Frauenbildungsheims. Die Auszubildenden sollen einheitliche Arbeitskleidung
tragen. In Anlehnung daran werden sie bald als „karierte Mädchen“ bezeichnet.
Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen. Einerseits
erzählt die Autorin von Klara, die etwa um die Jahrhundertwende 91 Jahre alt
und blind ist. Dennoch lebt sie weitgehend unabhängig im eigenen Haus. Ihr Mann
ist vor vielen Jahren verstorben, aber ihre Kinder besuchen sie noch
regelmäßig. Die Schwangerschaft ihrer Enkelin löst bei Klara verschüttete
Erinnerung wach. Ihr kommt die Idee, auf Kassetten aufzunehmen, was sie in der
Vergangenheit erlebt hat. Auf der zweiten Zeitebene konnte ich von Klara als
junge Frau bei Antritt ihrer ersten Stelle lesen. Chronologisch setzt Alexa
Hennig von Lange beide Handlungsebenen fort.
Die Autorin schreibt als allwissende Erzählerin. Dadurch
erreicht sie eine gewisse Distanz zum Geschehen, die notwendig ist, um der
Geschichte ihrer Großmutter einen breiteren fiktionalen Raum zu geben. Es ist
für uns heute schwierig, Gründe für die Handlungen der damals Lebenden nachzuvollziehen.
Unsere heutige Meinung über die vergangene Epoche beruht auf der Kenntnis
vieler Fakten.
Klara trat ihre erste Stelle in der Zeit der
Weltwirtschaftskrise 1929 an. Sie war froh darüber, überhaupt eine Arbeit zu
finden in ihrem erlernten Beruf. Aber bald schon geraten die Finanzen des
Kinderheims in eine Schieflage und es kommt zu Entlassungen von Personal. Die
Protagonistin hat die Idee dazu, sich auf die aufstrebende Partei der
Nationalsozialisten zu stützen, die das Heim erhalten will, wenn die neuen
Ideologien dort vermittelt werden.
Mit der Figur der Kindergärtnerin Susanne schafft die
Autorin eine Person, mit der Klara ihren Standpunkt diskutiert. Susanne kommt
aus einer betuchten Familie in Berlin und bringt einen anders gelagerten Blick
auf die Machtverhältnisse mit. Durch Einflechten einer Erzählung rund um das
jüdische Waisenkind Tolla, dessen Klara sich annimmt, bindet die Autorin
zusätzlich die Geschichte der Judenverfolgung mit ein. Obwohl Klara sich und
die unter ihrer Obhut stehenden vor weiteren Nöten bewahren möchte, sind ihre
Entscheidungen aus moralischer Sicht im Nachhinein kontrovers zu sehen.
Alexa Hennig von Lange schreibt in ihrem Roman „Die
karierten Mädchen“ behutsam und einfühlend. Gerne blickt sie hinter die Fassade
ihrer Figuren, die sich ändern und weiterentwickeln, aus Sicht des Lesenden
nicht immer zu deren Bestem, aber mit Konsequenzen. Auch aufgrund der
einfließenden Lebenserinnerungen ihrer Großmutter gelingt es ihr, ein
authentisches Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. Das Buch ist der erste Teil
einer Trilogie, deren Handlungszeit bis in die 1960er Jahre reicht. Schon jetzt
freue ich mich auf die Fortsetzung und vergebe gerne eine Leseempfehlung für
den vorliegenden Band.