Titel: Candy Haus
Autorin: Jennifer Egan
Erscheinungsdatum: 07.09.2022
Verlag: S. Fischer (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 97833103971453
Der Roman „Candy Haus“ der US-Amerikanerin Jennifer Egan
baut auf den Begebenheiten ihres, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Romans
„Der größere Teil der Welt“ auf, den sie im Jahr 2010 geschrieben hat.
Vorkenntnisse sind zum Verständnis des aktuellen Buchs nicht nötig. Der Titel
steht synonym für Verführungen, die das Leben uns bietet und Must-Haves, die
uns die Sozialen Medien vermitteln. Davon gibt es in der Geschichte einige,
sehr unterschiedlicher Art. Eine davon bietet Bix Bouton, einer der vielen
Protagonisten und Protagonistinnen.
Bix ist im Jahr 2010 erfolgreicher Unternehmer, der die inzwischen
weltweit bekannte App „Besitze dein Unterbewusstes“ entwickelt hat. Mit der App
kann Jeder, der dazu bereit ist, seine eigenen Erinnerungen ins Netz speichern
und erhält im Gegenzug Zugriff auf die bereits vorhandenen Daten. Das Cover
spiegelt die Vielfalt der erfassten Codestränge wider. Doch es gibt genügend
Personen, die der App skeptisch entgegenstehen. Irgendwann gelingt es einem
anderen Unternehmen Proxys zu konfigurieren, die im Internet Aktivitäten
vortäuschen können, was wiederum dazu führt, dass Software benötigt wird, um
die Proxys aufzuspüren.
Die Figuren des Romans stehen alle in irgendeiner Verbindung
zu den Software-Unternehmen: es sind die Betreiber und ihre Ehefrauen, ihre
Kinder, ihre entfernter Verwandten, ihre Nachbarn, ihre Freunde. Jennifer Egan
spannt ein großes Figurenensemble auf. Nach den ersten einhundert Seiten habe
ich begonnen, mir mit weiterem Lesefortschritt eine Skizze zu erstellen, um die
Beziehungen untereinander festzuhalten. Eine Auflistung der Hauptcharaktere am
Ende des Buchs wäre hilfreich gewesen. Es sind viele Personen, die bereits aus
dem Vorgängerbuch bekannt sind.
Wie in „Der größere Teil der Welt“ überrascht die Autorin mit
ständig wechselnden Erzählstilen. Mal erzählt sie aus der Ich-Perspektive, mal
als allwissende Erzählerin, sie versendet über 50 Seiten hinweg Emails oder es
sind über die gleiche Zahl an Seiten Aphorismen zu lesen. Bei jedem Kapitel
steht eine andere Figur im Mittelpunkt, die man aus den geschilderten
Begebenheiten heraus erkennen kann.
Zeitlich bewegt sich die Handlung von Rückblenden in die
1960er Jahre bis in das Jahr 1932 hinein. Es sind kühne Ideen, die Jennifer
Egan in ihrem Roman Realität werden lässt, die sie mir als Leserin als durchaus
denkbar beschreibt. Auf die Handlungszeit lässt sich ebenfalls aus den
Ereignissen schließen, hin und wieder nennt die Autorin auch das konkrete Jahr.
Es gelingt ihr mit jedem Kapitel aufs Neue durch die abwechslungsreiche
Gestaltung eigenwilliger und einzigartiger Figuren die Aufmerksamkeit des
Lesenden zu wecken.
Jede Szene bringt neue Erkenntnisse bis sich die Geschichte
Stück für Stück zum Ende hin vervollständigt und auch das Rätsel um den Vater
von Lulu gelöst wird, die eine Ziehtochter von Bennie Salazar ist, dessen Sohn Chris
ein Protegé von Lou Kline war, dessen dritte Frau einen Algorithmus zur
Vorhersage menschlichen Verhaltens aufgestellt hat für den Bix Bouton sich
interessiert. Aus dem vorigen Satz lassen sich deutlich die vielfältigen
Verflechtungen erkennen, die das Lesen nicht einfacher gestalten, aber zu einem
sehr vielseitigen Vergnügen.
Die kreative Ausgestaltung ihrer Figuren unterstützt die
Ansicht, die der Kern der Handlung rund um den Erhalt der Persönlichkeit
aussagt. Was wären wir ohne unsere Stärken und Schwächen? Wohin würde uns
Gleichförmigkeit führen? Der Roman „Candy Haus“ beantwortet zwar nicht die
Fragen, nähert sich ihnen aber auf unterschiedlichste Weise und sorgt für ein
Leseerlebnis besonderer Art, das ich gerne an diejenigen empfehle, die Freude
an Sprache und ideenreicher Figurengestaltung haben.