Rezension von Ingrid Eßer
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Amy Ashton, die Protagonistin im Roman „Morgen ist alles
schön“ von Eleanor Ray, sammelt Dinge, die sie thematisch sortiert in Kartons verpackt.
Inzwischen sind es so viele, dass sie kaum noch ein Stück Flur in ihrem Haus erkennt,
beim Treppensteigen Stufen überschlagen muss und die Kleiderschranktür nicht
mehr zu öffnen ist. Ihr Haus darf darum niemand außer ihr betreten. Die
Covergestaltung deutet an, dass leere Flaschen, Vögel und Vasen mit zu ihrer
Sammlung gehören. Es sind alles Gegenstände, die sie an eine Zeit erinnern, in
der sie im gleichen Haus glücklich mit ihrem Freund und ihrer besten Freundin
zusammenwohnte. Beide verschwanden vor elf Jahren von einem Tag auf den anderen.
Aber bis heute hat Amy die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die sie zu ihr
zurückkehren.
Amy, Ende 30 Jahre alt, hat Kunst studiert bis aus ihrem
Nebenjob im Büro eine Vollzeitbeschäftigung wurde. In jeder Sache sieht sie
eine eigene Schönheit, die von anderen nicht immer wahrgenommen wird. Die
Autorin erklärt beispielhaft Amys Eindruck an einigen Gegenständen. Eines Tages
bekommt Amy neue Nachbarn. Charlie, der ältere der beiden Söhne ist acht Jahre
alt. Durch ihre spröde, abweisende Art lässt er sich nicht abweisen und Schritt
für Schritt bekommt die von ihr um sich errichtete Mauer durch seine
Hartnäckigkeit Risse.
Amy mag Charlie für seine Hilfsbereitschaft ihr gegenüber, die
er aber auch zeigt, indem er sich um seinen jüngeren Bruder kümmert. Seine
Altklugheit führt zu mancher amüsanter Szene. Sie fühlt sich Charlie verbunden,
denn beide haben Verluste zu bewältigen und auch der Junge hat eine Sammelleidenschaft,
wenn auch nicht so übertrieben wie Amy. Die beiden sind nicht die einzigen Figuren
im Roman, die mir als Leserin sympathisch wurden. Zwischen ihnen gibt es nicht
nur Einvernehmen, sie haben ebenfalls Ärgernisse zu überwinden. Aussprachen
führen zu Verständnis füreinander, sorgen aber auch für Einsichten und
Konsequenzen.
Erst ein zufälliger Fund von Amy bringt die Protagonistin
dazu, ihre beständig wachsende Sammlung aus einer anderen Perspektive zu
betrachten. Die Kapitel im Jahr 2019 wechseln sich ab mit solchen auf einer
zweiten Handlungsebene, die in der Zeit von 1998 bis 2008 spielen. Darin erfuhr
ich mehr darüber, wie es zum Verschwinden von Amys Freund und ihrer besten
Freundin kommen konnte. Das Zusammenleben mit den beiden war nicht immer
einfach, aber alle drei hielten zueinander. Zum Ende hin gibt es eine überraschende
Wendung mit der Erklärung, warum die beiden sich nicht mehr bei Amy gemeldet
haben.
Der Roman „Morgen ist alles schön“ von Eleanor Ray zeigt,
wie eine persönliche Krise sich in mancher Hinsicht hemmend auf das weitere
Leben einer jungen Frau auswirkt. Durch ihr Verhalten und ihre Handlungen weckte
Amy mein Mitgefühl beim Lesen. Der einfühlsame Schreibstil ist nicht nur bewegend,
sondern auch unterhaltsam. Gerne empfehle ich den Roman weiter.