Dienstag, 25. Oktober 2022

Rezension: Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit von Natasha Pulley

 


Rezension von Ingrid Eßer

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Titel: Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit
Autorin: Natasha Pulley
Übersetzer aus dem Englischen: Jochen Schwarzer
Erscheinungsdatum: 24.09.2022
Verlag: Klett-Cotta (Link zur Buchseite des Verlags)
rezensierte Buchausgabe: Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 9783608986365
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Im Roman „Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ lässt die britische Autorin ihren Protagonisten Joe im 19. Jahrhundert alternative Zeitgeschichte erleben. Im Original heißt der Roman „The Kingdoms“ und er trifft genau wie der deutsche Titel den Kern der Erzählung. Zum einen steht ein Portal zum Zeitreisen, das sich in der Nähe eines Leuchtturms befindet, im Fokus, andererseits erfasst die englische Bezeichnung die Besonderheit, dass kleine Veränderungen in der Weltgeschichte aufgrund von Ränkespielen sowie Schlachten zu Lande und zur See zu dramatischen Verschiebungen der politischen Situation in den Königreichen von Großbritannien, Frankreich und Spanien führen können. Bei Zeitreisen in beide Richtungen ergeben sich dadurch jedes Mal neue Umstände.

Joe findet sich an einem Morgen des Jahres1898 an einem Londoner Bahnsteig wieder. Er kann sich zwar an seinen Namen erinnern, aber nicht an seine Vergangenheit. Einzig eine Frau mit dem Namen Madeline fällt ihm ein. Sein Gedächtnis wird in einer Klinik untersucht, die eine Suchanzeige für ihn aufgibt. Nach einiger Zeit meldet sich dort ein fein gekleideter Mann, der behauptet sein Herr zu sein. Die ihn begleitende jungen Frau behauptet, mit ihm verheiratet zu sein. Einige Monate später erhält er von seinem Herrn die wohlverdiente Freiheit.

Wenige Zeit danach trifft ein mysteriöser Brief ein, der 93 Jahre vorher bei der Post aufgegeben wurde. Er enthält eine Postkarte mit einem Leuchtturm vor der Küste Schottlands und der Aufforderung, nach Hause zu kommen, wenn er sich erinnert. Der Appell ist mit einem einfachen M unterschrieben. Zwei Jahre später ergreift Joe die Gelegenheit und meldet sich, als ein Techniker zur Reparatur eben jenes Leuchtturms gesucht wird. Bestimmt wird er bald wieder mit Madeline vereint sein, die nach seiner Vermutung seine frühere Geliebte war.

Natasha Pulley zeigt auf faszinierende Weise wie das Verhalten bereits einer einzelnen Person sich auf das große Spiel der Mächtigen auswirken kann. Joe droht sich aufgrund seiner Amnesie selbst zu verlieren. Von Anfang an spürt er eine innere Sehnsucht und obwohl er sich an wenig erinnert, verblasst diese nie. Auch eine glückliche Gegenwart kann ihm nicht sein tiefes Verlangen nehmen. Er macht sich auf die Suche nach dem, was er verloren zu haben scheint und findet sich in einer Umgebung wieder, die ihm fremd ist und sich doch bekannt anfühlt.

Neben der Figur des Joe, der viele Facetten zeigt, glänzt vor allem der Charakter des Kapitäns Missouri Kite. An Bord seines Schiffs lernt Joe dessen Härte gegenüber seiner Mannschaft und die Unwägbarkeiten der See kennen. Während Joe sich entsprechend seiner Rolle, die ihm die weltgeschichtlichen Ereignisse zuweisen, verändert, zeigt Kite seine wechselhaften Seiten in Abhängigkeit von seiner Stellung und seinen Erfahrungen. Natasha Pulleys Frauenfiguren wirken eigenständig, obwohl sie ihrer Zeit entsprechend schlechte Anerkennung finden.

Dank sehr guter Recherche beschreibt die Autorin das Leben an Bord eines Schlachtschiffes vorstellbar mit all ihren Härten, die nicht nur im Kampf bestehen, sondern auch beim Wachdienst, dem Segelsetzen und dem Plankenschrubben auf Hoher See. Es finden sich an Bord weitere interessante Figuren, die durch ihre Entwicklung zu losen Enden in der Geschichte beitragen, die über die Zeiten hinweg zum Ende hin von der Autorin zusammengefügt werden.

„Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ ist eine Steampunk-Fantasy von Natasha Pulley, die hierin mit der Möglichkeit der Zeitreise spielt. Sie zeigt, wie heftig das Verlangen sein kann, der Liebe zu folgen, die tief im Inneren verwurzelt ist, und dafür alles zurückzulassen, was inzwischen an Wichtigkeit gewonnen hat. Erst zum Schluss zeigt sich im Rückblick, wie gekonnt die Autorin die einzelnen Aspekte ihrer Geschichte zusammengefügt. Gerne empfehle ich das Buch an alle Fantasy-Lesende mit Interesse an Weltgeschichte weiter. 



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