In ihrem Roman „Unsre verschwundenen Herzen“ beschreibt
Celeste Ng, warum die Protagonistin Margaret Miu, die Mutter von Bird, in einer
nahen Zukunft ihren Sohn in der Obhut ihres Ehemanns zurücklässt. Sie hat dabei
das Bestmögliche für Bird im Sinn und ist damit nicht die Einzige, die sich von
ihrer Familie absetzt. Mütter und Väter sind voller Angst vor der staatlichen
Kontrolle, die über angemessenes Verhalten urteilt. Sie kommen unangemeldet zum
Wohnort der Familie, nehmen die Kinder mit und geben sie in Pflegefamilien. Doch
die Liebe der Eltern bleibt in den Herzen ihres Nachwuchses. Das Cover spiegelt
eine Situation wider, wie manche besorgte Person der Erzählung sie inzwischen
tagtäglich wiederholt: Ein vorsichtiger Blick durch die Gardine nach draußen,
ob Gefahr in Form der Ordnungshüter im Anmarsch ist.
Margaret hat asiatische Vorfahren. Vor mehreren Jahren hat
sie ungewollt die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und schließlich
in Konsequenz dazu Ehemann und Sohn verlassen. Inzwischen ist Bird zwölf Jahre
alt. Sein Vater hat dafür gesorgt, dass sie an einem neuen Wohnort innerhalb
der Stadt einen Neuanfang starten können. Eines Tages erhält Bird einen Brief
mit einer Zeichnung. Er erkennt, dass seine Mutter sie für ihn gemalt hat. Zum
Glück ist die Post nicht konfisziert worden. Bird glaubt fest daran, dass
Margaret ihm etwas mitteilen möchte. Darum beginnt er damit einen Plan für die
Suche nach seiner Mutter zu erdenken, den er schließlich umsetzt.
Celeste Ng schafft ein beängstigendes Szenario. Die
Geschichte ist zwar eine Dystopie, basiert aber auf einer Vergangenheit, die
die unsere ist. Beim Lesen wurde mir klar, dass bestimmte Begebenheiten nicht
mehr auf sich warten lassen, sondern bereits jetzt Realität sind. Im Roman
fordert die USA dazu auf, Gründe für die Wirtschaftskrise zu finden. Irgendwann
kanalisiert sich die Meinung, dass Mitbürger mit asiatischen Wurzeln die Schuld
tragen. Bereits ihr Aussehen erregt das öffentliche Ärgernis. Es ist erschreckend
darüber zu lesen, aber auch bei uns gegenwärtig, dass so viele sich eine solche
Ansicht unreflektiert zu eigen machen.
Von Beginn an entwickelt sich eine hintergründige Spannung
darüber, ob die Suche von Bird erfolgreich sein wird. Er entdeckt Bibliotheken
als einen Ort, an dem sich Widerstand regt, wodurch ein Stück Hoffnung gegeben
wird. Die Autorin zeigt, welche Macht Worte ausüben können, im positiven wie im
negativen Sinne. Sie nutzt einen Schreibstil, der die wörtliche Rede nicht mit
Anführungszeichen versieht. Aber sie ist nah an ihren Figuren und es gelang
ihr, mir deren Gefühle zu übermitteln. Ich empfand die Ohnmacht und
Hilflosigkeit der zu Unrecht Beschuldigten. Einige Male überraschte mich der
Roman mit einer Wendung.
„Unsre verschwundenen Herzen“ von Celeste Ng ist ein
dystopischer Roman mit einer unerwartet großen Nähe zu unserer Gegenwart. Die
Autorin zeigt auf berührende Weise anhand des Beispiels einer
Mutter-Sohn-Beziehung, was Blindgläubigkeit in Verbindung mit Stigmatisierung
bewirken kann. Es war ein beeindruckendes und ergreifendes Lesen. Gerne
empfehle ich das Buch weiter.